Master Class 17: Boris der Größte

von Stefan Liebig
07.07.2024 – In einer Hinsicht konnte man sich sicher sein: Wenn Boris Spassky am Brett saß, dann passierte dort etwas Außergewöhnliches. Die 17. Folge der Master Class porträtiert den zehnten Weltmeister ausführlich. Die interaktiven Features des E-Books bieten die Möglichkeit, wichtige Phasen seiner einzigartigen Karriere aktiv nachzuerleben …

Master Class Band 17 - Boris Spassky Master Class Band 17 - Boris Spassky

Ein Expertenteam aus vier internationalen Titelträgern zeigt Ihnen strategische Meisterleistungen, wegweisende Endspielmanöver und mustergültige Kombinationen im Videoformat und zeigt die Glanzpunkte der Karriere von Boris Spassky.

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Gerne zog der Fußballtrainer Otto Rehhagel – der übrigens neben vielen errungenen Deutschen Meisterschaften als Coach mit Werder Bremen, 1. FC Kaiserslautern und Bayern München die Griechen im Jahr 2004 zum sensationellen EM-Titel führte – Parallelen zum Schach. Ob der frühere Spieler (Rot-Weiß Essen, Hertha BSC, 1. FC Kaiserslautern) selbst auch Schach spielt, ist dem Autor nicht bekannt. Wenn er sich intensiver mit dem königlichen Spiel beschäftigt hätte, hätte ihm wohl Spasskys Spielweise gut gefallen. Denn die Art und Weise, wie der zehnte Weltmeister der Schachgeschichte immer um die Kontrolle des Zentrums bemüht war, um dann fundierte und vielversprechende Angriffe starten zu können, kam wohl der Philosophie der kontrollierten Offensive des erfolgreichen Fußballtrainers sehr nahe.

Dem Leben und dem schachlichen Vermächtnis von Boris Wassiljewitsch Spasski ist die inzwischen 17. Folge der ChessBase-Master-Class-Reihe gewidmet. Wen vor allem ersteres interessiert, der kann sich gleich zu Beginn auf die der Bedeutung Spasskys angemessene lange „Kurzbiografie“ von André Schulz stürzen. Eine wirklich gelungene Übersicht über die wichtigsten Stationen des am 30. Januar 1937 in Leningrad geborenen Schachgenies. In dieser Rezension soll es aber vorwiegend um das schachliche Vermächtnis gehen, das dem Zuschauer vier langjährige ChessBase-Experten in den Kapiteln Eröffnung, Strategie, Taktik und Endspiel näherbringen.

Eröffnung

Gerade die Eröffnungsrepertoires der Vorcomputerzeit sagen viel über die Spielanlage der großen Meister aus. GM Dorian Rogozenco widmet sich daher in seinem Kapitel den Eröffnungen Spasskys. Nach allgemeinen Betrachtungen der Repertoires aus weißer und aus schwarzer Sicht. Widmet sich der ehemalige Bundestrainer und Eröffnungsexperte schließlich den Spezialgebieten des Russen, der auch einige Male für Solingen in der Bundesliga am Brett saß:

Zum Beispiel spielte Spassky in 30 Partien die als harmlos für Schwarz geltende Leningrader Variante im Nimzoindisch (1.d4 Sf6, 2.c4 e6, 3.Sc3 Lb4, 4.Lg5). Er gewann 17 und verlor nur eine. Rogozenco erklärt, warum diese Variante eine wichtige Waffe für den heute 87-Jährigen war. Schärfer ging es dann schon in seinem Königsgambit zu und da war Spassky der einzige Spieler, der diese Eröffnung auf Topniveau einsetzte. Hier sind im Videokurs unter anderem eindrucksvolle Partien Spasskys gegen die Weltklassespieler David Bronstein, Yasser Seirawan und Anatoli Karpow zu sehen.

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Schließlich spielen sowohl der geschlossene als auch der offene Sizilianer eine wichtige Rolle in der großen Karriere des ehemaligen Weltmeisters. Rogozenco startet hier mit einer bekannten Partie gegen Geller, die zeigt, wie Spassky den geschlossenen Sizilianer als gefährliche strategische Waffe einsetzte. Und schließlich komplettiert Rogozenco die Repertoire-Analyse mit der Betrachtung der Spassky-Spanier jeweils aus weißer und aus schwarzer Sicht. Obwohl sich Spassky schon lange von der Turnierszene verabschiedet hat, liefern seine Partien noch heute viel Material, um das Eröffnungsverständnis zu verbessern. Das beinhaltete Eröffnungspowerbook hilft bei der Nutzung der Analysen Rogozencos.

Strategie

Schauen Sie hier die Einleitung als kostenloses Videobeispiel

„Botwinnik sagte, dass Boris Spassky der erste universelle Spieler der Schachgeschichte war und Botwinnik meinte solche Kommentare stets ernst“, so beginnt Mihail Marin seine Ausführungen über das gigantische strategische Verständnis der 1976 nach Paris emigrierten Schachlegende. Zwar waren laut Marin auch Lasker, Capablanca und Aljechin schon universell, doch Spassky erreichte eine neue Stufe. Endspielexperte Karsten Müller führt dies auf Spasskys Trainer Bondarevski zurück. Denn – und das wird in der Master Class 17 immer wieder zu Recht betont – Spassky war zwar als Angreifer bekannt und gefürchtet, aber es gibt auch sehr gute strategische Beispiele.

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Eingangs bereits erwähnt, skizziert der rumänische Großmeister und renommierte Trainer das Lieblingsschema Spasskys: Er baut seine Bauern zentral auf, manövriert etwas mit den Figuren, dann kommt sein Angriff. Selten setzt er dabei auf konkrete Kombinationen. Vielmehr opferte er oft für eine langanhaltende Aktivität und manövriert dann geduldig weiter, um den entscheidenden Moment abzuwarten. „Er vertraute darauf, dass es mit Raumvorteil irgendwann einen taktischen Abschluss geben wird“, fasst Marin zusammen. Marins Beispiele aus vier Jahrzehnten belegen die großartigen und vielfältigen Fähigkeiten des Weltmeisters von 1969 bis 1972.

1966 verlor Spassky den WM-Kampf, drei Jahre später gewann er das Aufeinandertreffen zweier verschiedener Spielstile. Marin sieht Spasskys Verbesserung im positionellen Bereich als Grund für den Erfolg des Herausforderers. Botwinnik schrieb über Petrosian: „Es ist ganz einfach bei Petrosian – er hat ein Gefühl, welche Figur schlecht steht und er verbessert ihre Stellung.“

Spasskys Sieg gegen Petrosian ist ein in Musterbeispiel für die Umgruppierung von Figuren.

Genau dies machte Spassky laut Marin ab dem 31. Zug in der vierten Partie des WM-Kampfes 1969. Ein sehr instruktives, strategisches Beispiel, bei dem immer wieder auf erstaunliche Weise eine schwarze Figur den Weg für eine andere frei macht. Gut vorstellbar, welch tiefen Eindruck diese positionelle Meisterleistung beim Titelverteidiger hinterließ.

Die weiteren Beispiele gegen Sokolov, Geller und Robatsch entsprechen gemäß Marins augenzwinkernder Anmerkung eher Spasskys Spielstil, nachdem er „die Figuren aktiv aufbaute, um sie dann auf die gegnerische Stellung zu werfen und zu gewinnen“. Doch ganz so leicht, wie es klingt, ist das natürlich nicht, sondern vielmehr ist jedes dieser Beispiele ein eindrucksvoller Beweis für seine fast grenzenlose Intuition.

Taktik

Der zehnte Schachweltmeister Boris Spassky besaß ein besonderes Gespür für Dynamik und Initiative, was ihn zu einem äußerst gefürchteten Angreifer machte. Oliver Reeh, der selbst in den Genuss kam, einige Jahre gemeinsam mit Spassky für die SG Solingen zu spielen, hat 24 kombinatorische Höhepunkte aus dessen Partien ausgewählt und mit interaktiven Trainingsfragen versehen. Siege aus der Eröffnung, bedeutsame Triumphe gegen Erzrivalen wie Kortschnoi, Petrosian und Fischer, aber auch überraschende Knockouts aus der deutschen Bundesliga – Sie haben Gelegenheit, alles noch einmal aus der Sicht Spasskys nachzuvollziehen!

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Das Kapitel beginnt mit einem Beispiel aus dem Jahr 1953, in dem sich Spassky im Duell zweier künftiger Weltmeister elegant gegen Vassili Smyslow durchsetzt. Es folgt eine sehenswerte Widerlegung der misslungenen taimanovschen spanischen Verteidigung. Wie gewinnt Weiß ästhetisch ansprechend?

Der Gewinnzug ist Sxb5 – sehen Sie warum? (Auflösung am Ende des Beitrags)

Für die Cineasten lohnt es sich übrigens besonders, sich die fünfte Taktikaufgabe anzuschauen. Diese Partie von Spassky (mit Weiß gegen Bronstein, 1960) wurde im James-Bond-Klassiker „Liebesgrüße aus Moskau“ verwendet – kein Wunder, bei der Königsgambit-Action auf dem Brett …

Endspiel

Laut GM Karsten Müller ist Boris Spassky ein starker Angriffsspieler mit hervorragenden Endspielfähigkeiten. Er hat mit vielen legendären Giganten des königlichen Spiels gespielt. Genießen Sie diese Klassiker und seine Angriffe, während Sie Ihr eigenes Endspielwissen vertiefen.

Hier ein lehrreiches kostenloses Videobeispiel

Grandiose Endspiele, z.B. die am Brett nicht zu berechnenden Endspiele gegen die Damen Kortschnois und Portischs, wobei er die erste Partie brillant durch Abschirmung des Königs durch den Bauern seines Gegners gewinnt, während in der Portisch-Partie die Remislösung verpasst und sich geschlagen geben muss. Gegen Ribli hingegen gelingt eine wundersame Remisrettung:

Damals reifte die in heutigen Zeiten von der Tablebase bestätigte Erkenntnis, dass Damenendspiele mit g- und h-Bauern remis sind, wenn der verteidigende König – wie hier der Fall – gut genug steht. Was natürlich in der Praxis jeweils bewiesen werden muss. Mit f- und g-Bauern hingegen sollte Weiß gewinnen.

Spassky zeigte oft, wie nahezu grenzenlos sein Endspielwissen und -gefühl ist. Er gewann mitunter sogar Remisendspiele gegen die weltbesten Spieler wie Karpov – in einem Endspiel Dame und Springer gegen Dame – oder Judit Polgar – in einem Turmendspiel mit Mehrbauern, das Polgar mit aktiver Verteidigung hätte halten können.

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Fazit

Die Master-Class-Reihe hat eine würdige Fortsetzung gefunden. Wer Vielseitigkeit schätzt, der kommt in jedem der Kapitel auf seine Kosten. Boris Spasskys Spiel war einzigartig und durch die Analysen der vier Meisterspieler bekommt man ein Gefühl für das grenzenlos erscheinende Schachwissen des zehnten Weltmeisters. Zudem liefern die Autoren auch viele Einblicke in das spannende Leben Spasskys. Keines der etwas mehr als acht Stunden füllenden Kapitel lässt Langeweile aufkommen. Im Zusammenspiel mit den interaktiven Möglichkeiten des E-Books ist auch diese Master Class von Anfang bis Ende fesselnd.

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Auflösung der Taktikaufgabe:
Mit Sxb5 zerstört Weiß die schwarze Verteidigung. Nach ...axb5 (was sonst?) folgen der Turmtausch, das Damenschach auf h5 und nach dem Zwischenzug der Dame nach f7 folgt die entscheidende Ablenkung Td8+ und die Dame auf f7 kann nach ...Kxd8 abgeholt werden.


Stefan Liebig, geboren 1974, ist Journalist und Mitinhaber einer Marketingagentur. Er lebt heute in Barterode bei Göttingen. Im Alter von fünf Jahren machten ihn seltsame Figuren im Regal der Nachbarn neugierig. Seitdem hat ihn das Schachspiel fest in seinen Bann gezogen. Höhenflüge in die NRW-Jugendliga mit seinem Heimatverein SV Bad Laasphe und einige Einsätze in der Zweitligamannschaft von Tempo Göttingen waren Highlights für den ehemaligen Jugendsüdwestfalenmeister.