05.11.2009 – Bertina Henrichs Roman "Die Schachspielerin" war vor drei Jahren ein
Überraschungserfolg nicht nur auf dem deutschen Buchmarkt. Die Geschichte
vom Zimmermädchen auf einer griechischen Insel, das durch Zufall der
Faszination des Schachspiels erliegt und über die neue Leidenschaft zu sich
selbst findet, begeisterte Kritik und Leser gleichermaßen. Nun wurde der
Stoff verfilmt. Die französische Produktion verlegte den Schauplatz nach
Korsika und wartet mit keinen Geringeren als den Stars Sandrine Bonnaire und
Kevin Kline als Hauptdarsteller auf. Im Interview verriet Regisseurin
Caroline Bottaro, dass sie die Geschichte der Schachspielerin sogar schon
vor dem Erscheinen des Buches kannte, denn die Autorin Bertina Henrichs ist
in Paris ihre Nachbarin. Im Rahmen der
26.
Französischen Filmtage (26.10 bis 4.11.) in Tübingen war "Joueuse - Die
Schachspielerin" als Auftaktfilm erstmals in Deutschland zu sehen. Der
deutsche Verleih Concorde-Film
bringt die deutsche Version ab 7.Januar 2010 in die Kinos. Der Film "Die
Schachspielerin" ist bestes französisches Erzählkino und Schach steht im
Mittelpunkt. Das sollte man sich als Schachfreund nicht entgehen lassen. Rezension des
Romans (von Johannes Fischer)...Interview mit
Bettina Henrichs (von Dr. René Gralla)...Trailer und Interviews...
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Inhalt
Hélène scheint mit ihrem Leben glücklich zu sein. Vor einigen Jahren ist sie
ihrer Liebein eine kleine korsische Küstenstadt gefolgt. Sie hat einen
einfachen Hafenarbeiter geheiratet, mit ihm eine
bescheidene Existenz aufgebaut, eine inzwischen 15jährige Tochter bekommen
und ihren Platz unter den Einheimischen gefunden. Inzwischen arbeitet sie
als Zimmermädchen in einem Hotel und ihre
Tage sind von Routine geprägt.
So auch an diesem Morgen: der Wecker klingelt, sie zieht ein schmuckloses
Kleid an, steckt sich die Haare hoch, trinkt den Kaffee hastig im Stehen und
fährt mit dem Fahrrad an der Küste entlang ins Hotel. Als sie die Bettwäsche
in einem der Zimmer wechselt, erkennt sie durch den Vorhang auf der sonnigen
Veranda ein junges, verliebtes amerikanisches Paar. Beide sind in eine
Schachpartie vertieft. Hélène fasziniert die Muße, Harmonie und Erotik, die
beide ausstrahlen. Vor allem, als die schöne Amerikanerin (Jennifer Beals)
im Negligé ihren Partner Schachmatt setzt und den Verlierer küssend tröstet.
Was sie gesehen hat, lässt Hélène nicht mehr los, urplötzlich verkörpert das
Schachspiel für sie den Traum von einem anderen Leben. Auf einmal merkt sie,
dass ihr etwas fehlt. Beim Abendessen kündigt die 15jährige Tochter Lisa
(Alexandra Gentil) an, anstatt in den Ferien Geld zu verdienen, zu einem
kostspieligen Praktikum nach England fahren zu wollen. Als sie auf
Widerspruch stößt, revoltiert sie gegen die kleinen Verhältnisse ihrer
Eltern. Außerdem fürchtet ihr Mann, seine Arbeit auf der Werft zu verlieren,
für Zärtlichkeiten ist er nicht richtig in Stimmung. So sieht also Hélènes
raue Realität aus ...
Am nächsten Tag fährt sie im Bus zu dem als verschroben geltenden Doktor
Kröger (Kevin Kline), dessen Haushalt sie in Ordnung hält. Durch sein großes
Haus mit Blick auf das Meer flutet klassische Musik, die Bücher stapeln sich
in hohen Regalen und die Antiquitäten sind erlesen: eine für Hélène fremde
Welt der Muße und der Kultur. Der zurückgezogen lebende, verwitwete Hausherr
ist kein umgänglicher Mensch, sondern eher ein arroganter Misanthrop, der
seine Putzfrau auch schon einmal zurechtweist und herablassend behandelt.
Hélène aber lässt sich von seiner schroffen Art kaum beeindrucken. Sie fasst
den Mut, ihn um eine dringend benötigte Lohnerhöhung zu bitten - und erhält
sie auch.
Längst beflügelt die Idee vom Schachspiel Hélène immer stärker. Als sie
ihrem Mann zum Geburtstag ein elektronisches Schachspiel schenkt, stößt sie
auf Unverständnis. Sie spürt aber, was sie jetzt antreibt. So steht sie
mitten in der Nacht auf, studiert die Spielregeln. Sie lernt, dass die Dame
die stärkste Figur ist und beginnt, gegen den Schachcomputer anzutreten.
Hélène lässt sich von ihrer neuen Leidenschaft mitreißen. Tagsüber denkt sie
pausenlos daran und nachts schleicht sie sich aus dem ehelichen Schlafzimmer
in die Küche, um Schach zu spielen. Ihren zurückhaltenden Mann für ihre neue
Passion zu begeistern, ist weiterhin nicht möglich, er bleibt bei seiner
ablehnenden Haltung.
Am nächsten Tag überrascht der bärbeißige Doktor Kröger Hélène, die
übernächtigt von ihrer neuen Leidenschaft beim Putzen über seinem
Schachbrett eingeschlafen ist. Als sie ihn bittet, ihr das Spiel
beizubringen, lehnt er erst ab, aber sie lässt nicht locker und ihre
Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Er lässt sich erweichen und stimmt einem
Probespiel zu. Beim nächsten Treffen kommt sie zum ersten Mal nicht nur zum
Arbeiten in sein Haus. Kröger wartet schon hinter dem Schachbrett auf sie.
Zwar setzt der bärtige Griesgram die junge Frau in wenigen Zügen matt, aber
Hélène gibt nicht auf. Von nun an ist ihr sonst so eintöniger Alltag geprägt
vom Warten auf die nächstmögliche Gelegenheit, um Schach zu spielen. Das
wöchentliche Treffen bei Kröger wird für Hélène zum herbeigesehnten
Rendezvous fixe, neben dem alles andere nebensächlich erscheint. Der sonst
so mundfaule und misstrauische Kröger erklärt ihr die Regeln, die Ausnahmen,
die Strategie. Hélène ist ausdauernd und lernt schnell. Schon bald
verwandeln sich die Lektionen zwischen Lehrer und Schüler in regelrechte
Duelle ebenbürtiger Partner.
Die neue Leidenschaft Hélènes bleibt nicht ohne Auswirkung auf ihre Umwelt:
Ihre 15jährige Tochter Lisa hat sich auf der England-Reise erstmals
verliebt, fühlt sich aber von der abwesend wirkenden Mutter vernachlässigt.
Im Friseursalon von Hélènes Freundin Marie-Jeanne (Elisabeth Vitali) machen
hartnäckige Gerüchte die Runde, sie gehe nicht nur zu Kröger, um dort zu
putzen.
Gespräch mit Caroline
Bottaro und Sandrine Bonnaire
Ihr
Film basiert frei auf Bertina Henrichs Roman „Die Schachspielerin“. Wie
haben Sie dieses Buch entdeckt?
Caroline Bottaro:
Bertina Henrichs war meine Nachbarin. Sie schlug mir vor, das Manuskript
ihres ersten Romans zu lesen als sie ihn gerade beendet hatte. Ich war also
ihre erste Leserin und sie fragte mich nach meiner Meinung, bevor sie
Kontakt mit einem Verlag aufnahm. Schon nach der zehnten Seite war ich davon
überzeugt, dass in diesem Text nicht nur packende Figuren, sondern auch ein
spannendes Thema für einen Film steckten.
Sandrine, Sie haben dieses Projekt schon in der Drehbuch-Phase unterstützt.
Was hat Sie daran so begeistert?
Sandrine Bonnaire:Am Anfang stand meine Freundschaft zu Caroline, die ich als
Co-Drehbuchautorin von „C’est la vie” von Jean-Pierre Amaris, kennengelernt
hatte. Sie hat mir ungefähr zwanzig Seiten zum Lesen gegeben, die mir gut
gefallen haben. Ich habe sie ermuntert, weiterzumachen und alle Etappen des
Projekts begleitet. Diese scheinbar einfache Geschichte gefällt mir, weil
sie eine Wahrheit des Lebens erzählt: unabhängig von seiner sozialen
Herkunft und Erziehung kann man sein eigenes Schicksal ändern. Wenn man sich
entscheidet, eine Leidenschaft zu verwirklichen, wird plötzlich alles
möglich. Ich liebe diese Antwort, die das Thema des Films beschreibt: „Wenn
man Risiken eingeht, kann man verlieren, aber wenn man keine eingeht,
verliert man immer.”
Hélène
entdeckt plötzlich ihre Leidenschaft für ein Spiel, das ihr bisher völlig
fremd war: Das Schachspiel. Eine Leidenschaft, die ihren Alltag vollkommen
verändern wird!
Bottaro: Anfangs stellt
Hélène ihren Alltag als Ehefrau in Frage. Mir gefiel die Idee, dass sie
keine Madame Bovary ist, die von einem anderen Leben träumt. Aber dann wird
sie Zeugin der Sinnlichkeit, die von diesem amerikanischen Paar ausgeht, das
sich eine Schachpartie auf der Terrasse des Hotels liefert, in dem sie
arbeitet. In diesem Moment entdeckt sie ihre Leidenschaft für das
Schachspiel, so als würde sie wegen eines Mannes den Kopf verlieren. Warum
verliebt sich diese Frau in diesem Moment auf den ersten Blick? Wie
Montaigne würde ich einfach sagen „…weil er es war, weil ich es war.“
Bonnaire: Hélène ist
weder eine unglückliche noch eine unterwürfige Frau, sie hat sich
entschieden, ihrem Mann zu folgen, um auf dieser Insel zu leben. Sie hat
eine bestimmte Zeit gebraucht, um sich in dieser neuen Umgebung, in der sie
niemanden kannte, zurecht zu finden, aber sie hat ihre Wahl aus Liebe
getroffen. Im Laufe der Zeit ist ihr Alltag dann ein wenig fade und eintöniggeworden. Als sie dieses Paar entdeckt, dass in der Sonne Schach
spielt, ist sie überrascht: Sie fühlt sich von diesem Mann und seiner jungen
Frau angezogen, die sich so sehr zu lieben scheinen.
Geht
es bei dieser Faszination für einen idealen Moment auch um das
Kino-Vergnügen, von einem Bild gefesselt zu sein?
Bottaro: Ja, Hélènes
Blick auf das Schach spielende Liebespaar ist ganz bewusst subjektiv, diese
Vision sollte offensichtlich idealisiert sein. Dieser entscheidende Moment
ist der Anstoß für den künftigen Weg von Hélène. Sie sehnt sich nicht nur
nach der Sinnlichkeit, die sie bei diesem Paar spürt, sondern wird sich auch
mit der jungen Frau identifizieren, die scheinbar so ganz anders als sie
ist. Hélène fasziniert an dieser Amerikanerin, dass sie ihren Liebhaber beim
Schach schlägt. Sie ist die erste „Gewinnerin” des Films.
Hélène
ist berührend in ihrer Unbeugsamkeit und ihrem Willen, ihr Leben zu ändern.
Woher nimmt sie diese Kraft?
Bottaro: In dem
Augenblick, in dem sie anfängt, Schach zu spielen, zählt für Hélène nichts
anderes mehr als zu lernen, sich zu perfektionieren und ihrer Leidenschaft
zu folgen. Sie stellt keine Fragen, sondern tut es! Darin liegt ihre Kraft.
Das
ähnelt einer Leidenschaft in der Liebe!
Bonnaire: Genau. Eine
Leidenschaft ist oft unvernünftig. Hélène bewegt sich in einer Blase und
entdeckt plötzlich eine ganz andere Welt als die, die sie bisher mit ihrem
Mann erlebte. Ihr Mann wird wütend, weil er versteht, dass sie ihn nicht
verlassen will, aber dass sie in ihrer Beziehung von nun an zu dritt sind:
sie, er und ihre Leidenschaft.
Das
Schachspiel lädt zu vielen verschiedenen Metaphern ein. Im Spiel und im
Leben von Hélène löst ein Zug immer einen anderen aus.
Bottaro: Das ist ein
schöner Ausdruck, aber diese Parallelen sind bloß glückliche Zufälle. Ich
muss gestehen, dass ich selbst immer noch nicht viel über die Strategien
beim Schach weiß! Für die Vorbereitungen zum Film habe ich den französischen
Schachverband befragt, Turniere besucht und viele Schachspieler getroffen.
Alle Schachpartien, die man im Film sehen kann, sind natürlich von
erfahrenen Schachspielern extra für den Film konzipiert worden.Am meisten interessierten mich die konkreten Aspekte des Spiels: die
Blicke, die kleinen Gesten, die Stille, die Haltungen. Es ist wie ein
Kriegszustand, zwei Armeen treten gegeneinander an. Diese intime Spannung
zwischen zwei Spielern ist spürbar. Für Hélène weckt die Spannung, die sie
bei dem amerikanischen Paar spürt, die Lust, selber zu spielen … Für Ange,
ihren Mann, ist diese Spannung unerträglich: Nachdem er sie mit Kröger
spielen sah, sagt er ihr „Für mich ist es schlimmer, als wenn du mich
betrügen würdest!“. Seine Frau hat sich in eine Welt begeben, von der er
sich ausgeschlossen fühlt, auf die er keinen Zugriff hat.
Eine
der Qualitäten des Films ist, dass er auch Zuschauer in seinen Bann zieht,
die keine Ahnung von der Strategie der Schachzüge haben. Man lässt sich in
das Spiel verwickeln.
Bonnaire: Ja, der Film
ist packend. Man fühlt sich von der Hartnäckigkeit dieser Frau mitgerissen,
von ihrem Willen zu lernen und das Spiel zu gewinnen. Sie hat sich selber
vor eine Herausforderung gestellt. Sie sagt sich „Ich werde es schaffen – um
jeden Preis!“. Auf jeden Fall hat Hélène viel Temperament. Man sieht es von
Anfang an, als sie eine Lohnerhöhung von Doktor Kröger fordert, bei dem sie
putzt.
Bottaro: Ich war
gerührt, als man mir nach einer Vorführung sagte „Mich hat die Geschichte so
gefesselt als wäre es Actionfilm“. Ich habe daran gearbeitet, dass ständig
etwas passiert, ohne dabei Effekte und spektakuläre Wendungen zu setzen.
Hélène kommt beinahe unbemerkt voran. Indem sie alle möglichen kleinen
Hindernisse überwindet, macht sie am Ende einen Riesensprung nach vorn!
Hélène
entdeckt ein Spiel, in dem die Dame zugleich die einzige weibliche und die
stärkste Figur auf dem Schachbrett ist. Hélène entspricht dem Bild dieser
Figur.
Bottaro: Trotzdem ist
der Film weder feministisch noch gegen die Männer! Aus der Sicht einer Frau
wird gezeigt, dass das Leben jedes einzelnen Menschen nicht vorherbestimmt
ist.Ihr Leben lässt sich nicht darauf
reduzieren, dass sie seit Jahren als Putzfrau arbeitet – und es ist noch
lange nicht zu Ende. Dank ihrer Leidenschaft gelingt es dieser Frau aus
bescheidenen Verhältnissen, alle individuellen und sozialen Grenzen zu
überwinden. Sich selbst zu finden, liegt außerhalb jeder gesellschaftlichen
Funktion und Identität.
Sie
zeichnen nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Seiten des
eifersüchtigen Ehemanns. Er wird im Laufe des Films sanfter und wirft sich
vor, seine Frau nicht schon früher ermutigt zu haben.
Bottaro: Ich mag keine
schwarz-weiße Weltsicht, sondern habe darauf geachtet, dass die Figuren
komplex sind und die Geschichte nuanciert ist.
Fördert das Inselleben auch noch heute einen Konservatismus der Traditionen
und den Machismus?
Bottaro: Ja, ich wollte
dies diskret im Film anklingen lassen. Wenn man von außen auf eine Insel
kommt wie Hélène, wird man mehr oder weniger akzeptiert, aber man bleibt
sein Leben lang ein Fremder. Da sich beide isoliert fühlen, kommen Hélène
und Kröger sich näher. Sie sind zwei kleine Inseln der Einsamkeit, die sich
auf einer Insel treffen.
Auch
die Tochter von Hélène, eine 15jährige Jugendliche, fühlt sich durch die
gesellschaftliche Lage ihrer Mutter isoliert.
Bonnaire: Lisa
entwickelt einen Minderwertigkeitskomplex und traut sich nicht, ihrem
bürgerlichen Freund zu sagen, dass ihre Mutter als Zimmermädchen und
Haushälterin arbeitet. Aber Hélène steht zu ihrer gesellschaftlichen
Position, sie findet es nicht erniedrigend, bei anderen putzen zu gehen.
Das ist ihre Arbeit und daneben hat sie ihre Passion. Sie weiß genau, daß
der Freiraum, den sie sich erlaubt, die Harmonie ihrer Familie stört und
ihre Ehe in Gefahr bringen kann, aber sie empfindet keine Schuldgefühle.
Bisher hat sie ihr ganzes Leben auf ihren Haushalt ausgerichtet, sie hat
ihre Tochter erzogen, sich hinter ihren Mann gestellt. Letztlich wird diese
Veränderung allen Beteiligten gut tun. Schon bald ermutigt ihre Tochter sie,
weiter mit Kröger Schach zu spielen, denn sie hat sich selber durch die
Lektüre von Jack Londons „Martin Eden“ weiterentwickelt.
Bottaro: Die Szene ihres
gemeinsamen Bauchtanzes zeigt, dass sich Mutter und Tochter angenähert haben
und sich durch ihre individuelle Weiterentwicklung besser verstehen. Die
Tochter begreift, dass ihre Mutter nicht nur Putzfrau ist und dass dieser
Tanz einen Teil ihrer Vergangenheit enthüllt. Als Jugendlicher will man so
sein wie alle anderen. Daher ist auch normal, dass dieses Mädchen sich ihrer
Mutter widersetzt, als sie sich als eine starke Persönlichkeit mit einer
besonderen Begabung entpuppt.
Zwischen Hélène und Kröger entwickelt sich eine Anziehung, die über das
reine Vergnügen am Schachspielen hinausgeht. Wie wollten Sie diese Beziehung
aufbauen?
Bottaro: Zwischen den
beiden musste es ein echtes Einverständnis geben. Was zwischen ihnen
passiert, geht über den Alters- und Klassenunterschied hinaus, sie verlassen
die ursprüngliche Situation zwischen einem Chef und seiner Angestellten.
Bonnaire: Es gibt in
ihrer Beziehung ein interessantes Symbol: Das Schachbrett markiert eine
gesellschaftliche Grenze zwischen dem Meister und der Dienerin, zwischen dem
Lehrer und seinem Schüler.
Die
„ blinde“ Schachpartie zwischen Hélène und Kröger ist eine der schönsten
Szenen des Films. Ist es wie eine erträumte Partie, bei der die Sprache des
Spiels die Worte der Liebe ersetzt?
Bonnaire: Ja, durch das
mentale Bewegen der Schachfiguren würde sie sich gerne sagen, dass sie sich
lieben, aber … In meinen Augen beginnt Hélène, ein wenig ihre Gefühle
preiszugeben – nicht so offen wie es eine Dame tun würde, die auf dem
Schachbrett direkt ihr Ziel anvisiert, sondern indirekter, diagonal, auf
Umwegen. Während sie von vorneherein ganz geradlinig alles daran setzte,
ihre Leidenschaft zu verwirklichen, spürt sie hier eine echte Hemmung, ihre
Gefühle zu äußern.
Bottaro: Was zwischen
den beiden passiert, ist eine Art Vergnügen, ein verklärtes Begehren. Ich
habe lange nach einer Erfüllung für ihre Beziehung gesucht. Ich spürte, dass
sie sicher mit ihrer Art zu kommunizieren verbunden war: Dem Schachspiel.
Ich wollte mir diese beiden nicht zusammen in einem Bett vorstellen, denn
wenn Hélène im Film bloss eine untreue Frau wäre, würde alles
zusammenbrechen - die Besonderheit und die Sinnlichkeit ihrer Beziehung gäbe
es dann nicht mehr. An dem Tag, als ich selber „blind” Schach gespielt habe
- wenn beide Spieler ohne Schachbrett sich gegenseitig ihre Züge ansagen -
habe ich selber eine solche Verwirrung gespürt, dass mir sofort klar war,
dass eine solche Szene funktionieren würde. Für mich lieben sich Hélène und
Kröger in dieser Szene - wenn auch auf eine ungewöhnliche Weise.
Hélène
spürt in diesem Moment mit Kröger ein sinnliches Vergnügen, ähnlich wie das,
was sie am Anfang des Films zwischen dem amerikanischen Paar beobachtet.
Bottaro: Ja, diese
„blinde” Schachpartie ist eine Entsprechung mit der Vision des
amerikanischen Paares, das auf der Terrasse spielt. Aber Hélène ist
inzwischen auf die andere Seite des Vorhangs gewechselt, sie ist die Heldin
ihrer eigenen Geschichte geworden.
Welche
Ideen haben Sie bei der Inszenierung dieser Geschichte geleitet?
Bottaro: Der Film sollte
nicht nur realistisch sein. Ich wollte, dass der Zuschauer die ganze Zeit
den Alltag von Hélène teilt, aber auch Zugang zu ihrer Subjektivität, ihrem
Innenleben und ihren Träumen hat, als sie von der Leidenschaft überrannt
wird. Meine Regie hängt aber auch von winzigen Details ab – etwa muss ein
Vorhang auf die richtige Weise durchsichtig sein, damit man dahinter kaum
das amerikanische Schach spielende Paar auf der Terrasse erkennen kann. Wir
haben etwa eine Art Ruhe um Kröger aufgebaut, indem wir das Geräusch seiner
Schritte weggelassen haben und auch auf das Ticken der Uhr verzichteten. Wir
wollten den Eindruck vermitteln, dass die Zeit um ihn herum stillsteht.
Sandrine, wie sind Sie die Figur der Hélène angegangen, so dass sie von
Anfang an berührend ist?
Bonnaire: Das ist wie
das Weiterkommen des kleinen Däumlings (aus dem Märchen von Charles Perrault),
von Stein zu Stein, indem ich mit kleinen konkreten Dingen spielte, den
Gesten, winzigen Emotionen, dem Spiel der Blicke, den Auslassungen. Zusammen
mit Caroline haben wir die Silhouette der Figur erfunden: Anfangs trägt sie
sehr schmucklose Kleidung; auch dass sie die Haare festgesteckt hat und dazu
flache Schuhe trägt, gibt ihr eine besondere Haltung. Wir haben uns gesagt,
dass sich diese junge Frau ein wenig in der Routine ihres Alltags vergisst,
also nimmt sie sich keine die Zeit, sich im Spiegel zu betrachten, wenn sie
ihre Haare feststeckt. Solche einfachen Dinge, die als bloße Details gelten
mögen, haben beim Spielen dann eine konkrete Wirkung.
Wie
haben Sie gespürt, dass Sandrine Bonnaire die ideale Besetzung für diese
Rolle sein würde?
Bottaro: Die Idee, mit
Sandrine zu arbeiten, entstand gleichzeitig mit der Lust, diesen Film zu
drehen. Danach hatten wir viel Zeit, uns gegenseitig kennenzulernen und jede
neue Version des Drehbuchs war von dem geprägt, was ich an ihr entdeckte und
dann zeigen wollte. Das Projekt des Films hat sich dann untrennbar mit
meiner Lust verbunden, eine Art Porträt von Sandrine zu machen. Hélène und
Sandrine haben nicht nur eine ähnliche soziale Herkunft zu der sie sich
bekennen, sie teilen auch denselbe unerschütterlichen Willen, dieselbe
Ausdauer und große Konzentrationskraft. Hélène blüht durch das Schachspielen
und den Blick von Kröger auf; der Weg von Sandrine ist geprägt von
bestimmten Filmrollen und der Begegnung mit wichtigen Regisseuren. Beide
sind sehr weiblich, zugleich spontan und überlegt, intuitiv und rational.
Bonnaire: Ich fand es
amüsant, nach der ersten Vorführung des Films zu entdecken, dass diese
Geschichte ein wenig die Erzählung meines eigenen Schicksals ist und ich von
einem Menschen betrachtet werde, der mich gut kennt. Die letzte Einstellung
des Films, Hélène am Bug eines Schiffes, ist eine absichtliche Anspielung
auf den Vorspann von „Auf das, was wir lieben“ (1983) von Maurice Pialat,
meinem ersten Film. Auf gewisse Weise schließt sich hier ein Kreis!
Das
Paar Bonnaire-Kline ist so bemerkenswert, dass man sich noch lange daran
erinnern wird.
Bottaro: Man kann das
Kino nicht lieben und selber Filme drehen wollen, ohne das amerikanische
Kino zu schätzen. Wenn man Kevin Kline ein Drehbuch schickt und er nach vier
Tagen antwortet, er würde sie gerne so schnell wie möglich treffen, versteht
man nicht recht, was da passiert, aber es ähnelt einer Art purem Glück des
Kinos! Kevin Kline ist ein sehr körperlicher Schauspieler und sein Talent
erlaubt es ihm, genauso auf der Bühne - er tritt regelmäßig auf dem New York
Shakespeare Festival auf - wie in den großen Kinokomödien zu glänzen.
Dieser Film war für ihn eine Herausforderung, da er zum ersten Mal außerhalb
der USA spielte - in einer fremden Sprache und einem für ihn ungewöhnlichen
Register. Ich habe ihn angewiesen, mit große Zurückhaltung zu spielen, was
seinen Charme und seine Sonderbarkeit verstärkt.
Bonnaire: Außerdem
mussten wir zusammen unsere Schachpartien auswendig lernen! Sehr schnell
fühlten wir uns wie Komplizen und wir amüsierten uns, wenn er mit mir nach
dem Rhythmus, dem Klang seiner Dialoge suchte und vermeiden wollte, ein Wort
so zu betonen, dass es einen anderen Sinn bekam. Während der Einstellungen
erlaubte sich Kevin kleine Improvisationen, eine besondere Geste etwa; ich
nahm diese Vorschläge auf und hatte das Vergnügen, mich seiner „Musik“ zu
nähern. Caroline hat uns beim Spielen eine gewisse Freiheit gelassen, weil
sie genau weiß, was sie von den Schauspielern erwartet. Sie versucht, alle
ihre Mittel in den Dienst der Szene zu stellen. Sie sucht dabei nach einem
tiefen Zusammenhang zwischen dem Charakter des Schauspielers und der Figur,
die er verkörpert.
Francis Renaud, der Ehemann von Hélène, hat einen starken Auftritt.
Bottaro: Francis rührt
mich sehr, als Schauspieler und als Mann. Mit Sandrine teilt er viele
Gemeinsamkeiten; in einer anderen Geschichte könnten sie auch Bruder und
Schwester sein. Wenn ein Mann und eine Frau lange zusammenleben, ähneln sie
sich am Ende ein wenig, so wie das Paar von Ange und Hélène. Francis spielt
nicht bloß den gutmütigen und etwas verlorenen Kerl. Selbst wenn man merkt,
dass er ein Ausbund an Zärtlichkeit ist, lässt er auch eine Spannung
erkennen, die seiner Figur mehr Relief gibt. Man fragt sich ständig: Wann
kommt dieses Paar ins Schleudern?
Wie
sind Sie auf Nicola Piovani für die Filmmusik gekommen?
Bottaro: Nicola Piovani
gehört zu den schönen Begegnungen dieses Films. Ich liebe seine Musik aus
den Filmen Nanni Morettis. Er mochte das Drehbuch und bewundert Sandrine
Bonnaire sehr. Er hat sofort verstanden, dass die Musik eine eigenständige
Figur des Films sein sollte. Seine Melodien, die zugleich schwer und leicht
sind, passen perfekt zu meiner Idee, die Dinge auszusprechen, aber ohne so
zu wirken.
DIE
SCHACHSPIELERIN ist einer der ersten Filme der Produzenten Dominique
Besnehard und Michel Feller. Wie haben sie das Projekt begleitet?
Bottaro: Sehr gut!
Dominique Besnehard und Michel Feller haben mir versprochen, dass ich
meinen Traum im großen Rahmen verwirklichen kann. Sie waren gleichzeitig
präsent und respektvoll dem Film gegenüber, den ich drehen wollte. Ich
wusste erst, dass ich schließlich diesen Film drehen würde, als Dominique
Besnehard, mein ehemaliger Agent, sagte „Wir kennen uns seit über zwanzig
Jahren, Sandrine wird immer meine kleine Schwester im Kino sein. Es ist dein
erster Film und meine erste Produktion. Legen wir los!“
Bonnaire: Das erste Mal
ist immer am schönsten!
Das
Gespräch führte Gaillac-Morgue
Gespräch mit Kevin Kline
Wie
haben Sie reagiert, als Sie das Drehbuch von DIE SCHACHSPIELERIN entdeckten?
Kline: Als ich die
englische Version des Drehbuchs bekam, habe ich es gelesen, ohne es aus der
Hand zu legen. Das ist ein gutes Zeichen … und kommt nur ganz selten vor! Es
war eine sehr angenehme Lektüre. Ich war sofort von der Geschichte und den
Figuren verführt. Außerdem wusste ich, dass Sandrine Bonnaire die Hauptrolle
spielen sollte. Sie ist eine großartige Schauspielerin, die ich schon seit
langem schätze. Daher war es eine Ehre für mich, mit ihr zu spielen. Dazu
kam, dass ich Liebesgeschichten mag, die keinem klassischen oder
gewöhnlichen Schema folgen. Es gibt ja schon unzählige Annäherungen an die
amourösen Beziehungen, aber ich hatte noch nie ein Drehbuch gelesen, in dem
die Liebe durch das Lernen des Schachspiels geweckt wird! Vielleicht war es
diese Besonderheit, die mich sofort an dem Lebensweg dieser Frau angezogen
hat: Sie weiß, daß ihr etwas wichtiges im Leben fehlt. Ihre Suche, die
Vorboten ihres Aufblühens und die Entdeckung einer ungewöhnlichen Begabung
werden ihr als Antrieb dienen, um sich selbst zu entdecken … Ich fühlte mich
schon immer von Menschen angezogen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen,
die das Leben nicht so akzeptieren, wie es ihnen geboten wird. Menschen, die
anspruchsvoller sind, die weit hinaus wollen, um etwas anderes zu erreichen
… DIE SCHACHSPIELERIN beschreibt die Geschichte eines Aufblühens, nicht die
einer Frustration.
Wie
haben Sie Caroline Bottaro getroffen?
Kline: Mein
französischer Agent Laurent Savry hat mir das Drehbuch geschickt. Nachdem
ich es gelesen hatte, wollte ich die Regisseurin treffen. Mir gefiel die
Idee, auf Französisch zu spielen. Vor allem, weil ich noch nie einer
Fremdsprache gedreht hatte. Sandrine Bonnaire ist einige Wochen später nach
New York gekommen, später stießen auch Caroline Bottaro mit ihrem
Produzenten Dominique Besnehard dazu. Wir haben uns getroffen und einen sehr
angenehmen Abend zusammen verbracht. Aber im Innern hatte ich die
Entscheidung schon längst getroffen.
Was
war Ihr erster Eindruck von Caroline Bottaro?
Kline: Wir haben sofort
gut miteinander kommunizieren können, indem wir zwischen Englisch und
Französisch hin und her sprangen. Ich habe sie als einen intelligenten,
entschlossenen, kompetenten, konkreten und geistvollen Menschen entdeckt.
Als wir vom Drehbuch und unserer Arbeitsmethode sprachen, waren wir sofort
auf derselben Wellenlänge. Schon das Drehbuch hatte einen starken, ersten
Eindruck auf mich gemacht, aber durch die Begegnung hatte ich sofort Lust,
mich in dieses Abenteuer zu stürzen.
Für
Caroline Bottaro war es der erste lange Spielfilm. Welche Art von
Beziehungen hatten sie während der Dreharbeiten?
Kline: Ich habe auf der
ganzen Welt mit vielen verschiedenen Regisseuren gedreht – mit Amerikanern,
Rumänen, Taiwanesen, Franzosen, Deutschen, Engländern – und ich muss sagen,
dass ich Regisseure bevorzuge, die unsere professionelle Beziehung als eine
echte Zusammenarbeit verstehen. Jeder hat natürlich seinen eigenen Stil ...
Caroline weiß genau, was sie will, sie hatte eine genaue Vorstellung von
ihrem Projekt, aber gleichzeitig war sie Vorschlägen gegenüber nicht
verschlossen. Ihr kreativer Ansatz hat sich im Laufe der Dreharbeiten
weiterentwickelt. Sie war offen für unsere instinktiven Interpretationen und
für die Überraschungen, die sich natürlicherweise beim Schauspielen ergeben.
Ich glaube, man sollte immer einen Platz lassen für das Unvorhersehbare, für
unbewusste Impulse, für alles, was der Kontrolle entwischt. Ich liebe es,
selber zu suchen, mit verschiedenen Ansätzen zu experimentieren, zu proben!
Das kommt sicher daher, dass ich schon seit zehn Jahre am Theater spielte,
bevor ich meine ersten Kinorollen bekam. Manchmal liebe ich es auch, mich
überhaupt nicht vorzubereiten – das hängt immer von dem jeweiligen Projekt
ab! Ich glaube, dass es niemals nur eine Art gibt, zu arbeiten oder eine
Rolle zu spielen ... Schon nach unserem ersten Treffen wusste ich, dass
Caroline diese Offenheit besaß. Und daher war unsere Zusammenarbeit dann
auch so angenehm.
Sie
spielen zum ersten Mal mit Sandrine Bonnaire. In welcher Rolle haben Sie sie
entdeckt und wie schätzen Sie ihre Arbeit ein?
Kline: Ich hatte ihre
wunderbare Darstellung in „Die Verlobung des Monsieur Hire“ von Patrice
Leconte, „Biester“ von Claude Chabrol, „Vogelfrei“ von Agnès Varda und „Die
Sonne Satans“ von Maurice Pialat gesehen. Zuletzt hat sie mir in „Intime
Geständnisse“ von Patrice Leconte gefallen. Ich liebe diesen Film! Das ist
eine andere, sehr originelle Liebesgeschichte! Ich liebe die Intensität, die
Sandrine ausstrahlt, ihre Einfachheit, ihre Geradlinigkeit, ihre Feinheit
und auch ihr Geheimnis ... Sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin: Ich
habe sie schon immer außergewöhnlich gefunden!
Wie
war ihr Verhältnis bei den Dreharbeiten?
Kline: Wirklich
ausgezeichnet! Sie war unglaublich geduldig mit mir und hat mir viel
geholfen. Wir haben uns gut amüsiert! Mit Sandrine zu arbeiten war ein
echtes Vergnügen, sie ist wundervoll und wir haben viel gelacht!
Wie
würden Sie ihre Figur des Doktor Kröger beschreiben?
Kline: Meine
Beschreibung von Kröger ist natürlich sehr subjektiv. Ich kann ihnen sagen,
wer er in meinen Augen ist, aber das ist nur eine persönliche Ansicht und
würde es bevorzugen, dass die Zuschauer sich ihr eigenes Bild machen anstatt
langweiligen Erklärungen zu lauschen. Sagen wir also, dass mein erster
Eindruck von Kröger der eines unzufriedenen, misanthropischen,
verschlossenen Mannes war. Er hat den Rest der Welt ausgeblendet, um einen
Ruhepol zu finden. Er hat einige Türen hinter sich verschlossen und
plötzlich lässt er wieder jemandem an sich heran, jemanden, der ihn rührt.
Der Film erklärt uns nicht, was dieser zur Ruhe gesetzte amerikanische
Doktor in Korsika macht. Man weiß nicht viel über seine Vergangenheit, er
bewahrt sich ein gewisses Geheimnis ... Kröger ist ein Mann des Verborgenen.
Er kann arrogant wirken und es scheint ihm völlig egal zu sein, was die
anderen von ihm denken. Das macht ihn auch so angenehm zu spielen! Eine
Figur wie Kröger hat etwas Befreiendes - ein echtes Geschenk für einen
Schauspieler!
Haben
Sie gewissen Gemeinsamkeiten mit Kröger und wie haben Sie ihre Figur
„kennengelernt“?
Kline: Ich würde lieber
nicht unsere Gemeinsamkeiten ausbreiten – ausser, dass unsere Namen mit K
beginnen. Wir beide lieben es, zu unterrichten und uns durch diese Lehre zu
bereichern. Docendo discimus (Durch das Lehren lernen wir) sagten die alten
Römer schon. Alles beginnt, wenn ich meine Figur beim Lesen des Drehbuchs
treffe, das ist wie ein Arbeitsschema. Dann nähere ich mich der Figur im
Laufe der Dreharbeiten, ich entdecke sie von Szene zu Szene, von Moment zu
Moment immer besser, bis ich sie mir aneignen kann. Indem er diese
verschiedenen Masken trägt, entdeckt sich ein Schauspieler immer ein wenig
mehr.
Wie
haben Sie sich auf Ihre erste französischsprachige Rolle vorbereitet?
Kline: Ich hatte schon
in „French Kiss“ (1995) von Lawrence Kasdan ein paar französische Sätze in
kurzen Szenen mit François Cluzet und Jean Reno, aber ich habe noch nie eine
ganze Rolle in Französisch gespielt. Daher musste ich hart arbeiten. Dabei
geholfen haben mir insbesondere zwei Sprachcoachs in New York und vor allem
mein Freund Claudio Todeschini, der mich während der ganzen Dreharbeiten
begleitet hat.
Hat
sich Ihr Schauspiel durch die fremde Sprache verändert?
Kline: Ja, das ändert
alles! Eine fremde Sprache ändert die Art sich auszudrücken und sogar die
Art zu denken!
Gibt
es Ihrer Meinung nach noch Unterschiede in der Arbeitsweise der
amerikanischen und der französischen Schauspieler?
Kline: Mir fällt es
schwer, das französische Herangehen an das Schauspiel zu beschreiben, weil
die kulturellen und sprachlichen Umfelder so verschieden sind. Außerdem
glaube ich inzwischen, dass jede Erfahrung anders ist. Egal, in welcher
Schule sie waren, mit wem sie das Schauspielen gelernt haben, ob sie vom
Theater oder vom Kino kommen, ob sie sich qualifiziert haben oder ein
geborener Schauspieler sind. Für mich ist die Idee des Schauspiels
persönlich und ständig in Bewegung. Sagen wir, dass man sie so oft wie
möglich neu zu definieren versucht, beinahe fast jedes Mal, wenn man spielt.
Und dann ist es auch unterschiedlich, wenn man Shakespeare, Molière,
zeitgenössisches Theater, in einem Genre-Film oder einem Film von Caroline
Bottaro spielt! Wichtig ist, dass man so gut wie möglich das, was im
Drehbuch steht, auf die Leinwand überträgt. Natürlich gibt es Unterschiede:
einen Stil, eine europäische oder französische Ausdrucksform; das wäre ein
Thema, das man ausweiten könnte, aber am Ende ist es immer eine menschliche
Herangehensweise. Ich glaube, dass die Idee vom Spiel immer ganz und gar
individuell ist.
Konnten Sie vor den Dreharbeiten Schach spielen und wie sehen Sie dieses
Spiel heute?
Kline: Ich habe schon
vorher ein wenig Schach gespielt, aber ich musste es für den Film erst
richtig lernen, denn Kröger ist ein guter Spieler. Ich musste also mit einen
Schachlehrer üben. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, wie komplex
und kompliziert dieses Spiel ist. Es ist wirklich fesselnd! Nachdem ich
einige Bücher über Schach gelesen habe, glaube ich, dass es zwei wichtige
Schulen gibt: Die einen sehen Schach als einfaches Spiel und Zeitvertreib,
die anderen als intellektuelle Herausforderung. Dabei geht es nicht mehr nur
darum, wer gewinnt und das Ganze wird komplexer. So schärft man den
Intellekt und seine Entschlossenheit. Dazu braucht man eine große
psychologische Kraft, denn man muss nicht nur das Spiel sondern vor allem
gegen seinen Gegner gewinnen. Da ist ein gutes Zusammenspiel aus der rechten
und der linken Hirnhälfte gefragt. Aber was mir natürlich in diesem Film
besonders gefällt, ist die metaphorische Seite des Schachspiels: Ist es ein
echtes Spiel oder eine Liebesgeschichte?
Ist
das im Drehbuch des Films präsente Übersichhinauswachsen eine entscheidende
Voraussetzung dafür, um glücklich zu sein?
Kline: Interessante
Frage. Ich habe dafür keine Antwort aber ich mag, wenn Kröger sagt: „Wenn
man ein Risiko eingeht, kann man verlieren, wenn man keins eingeht, verliert
man immer“. Er weiß genau, dass diese Anstrengung und diese Suche
unumgänglich sind. Mir ist die Idee des Engagements auch sehr wichtig. Ich
glaube, dass es nötig ist, sich wirklich auf etwas einzulassen, um sich zu
entfalten und eine Art von Glück zu finden. Egal ob es dabei um die Arbeit,
die Kunst, die Freundschaft oder die Ehe geht – es ist eine Art
Verantwortung, sich selbst und der Gesellschaft gegenüber. Ich sage nicht,
dass es mir immer gelingt ... aber auf jeden Fall versuche ich es.
Ihre
Rolle wurde ausschließlich in einer wunderbaren korsischen Landschaft
gedreht. Kannten Sie diese Region schon vorher?
Kline: Nein, es war das
erste Mal. Leider hatte ich keine Zeit, um mich dort ein wenig umzuschauen
und Ausflüge zu machen. Ich war wie Kröger „eingeschlossen“. Ich hatte auf
dem Set viel zu tun und abends im Hotel probte ich meine Dialoge für den
nächsten Tag. Die Dreharbeiten waren intensiv und anstrengend, aber wir
haben viele besondere Momente miteinander geteilt. Da wir alle in demselben
Hotel wohnten, entstand eine große Nähe. Ich finde auch, dass die Franzosen
einen anderen Zugang zum Leben haben als die Amerikaner, die alles nach dem
Rhythmus der Arbeit ausrichten. In Frankreich ist die Lebensqualität sehr
wichtig. Ein Glas Wein, ein gutes Abendessen: Das ist auch wichtig, wenn man
einen harten Drehtag hinter sich hat! Ich habe sehr angenehme Dreharbeiten
verbracht, aber um Korsika zu sehen, muss ich wiederkommen und zwar ohne
einen Film!
Sie
sind im komischen und im dramatischen Fach zuhause. Welches Genre liegt
Ihnen mehr?
Kline: Nein, ich wollte schon immer Abwechslung: verschiedene Rollen und
Stile, im Theater wie im Kino - Hamlet, Cyrano, Falstaff, Shakespeare,
Tschechow ... Komödien, Tragödien, Klassisches oder Zeitgenössisches, mir
gefällt die Vielfalt!
Würden
Sie gerne wieder in Frankreich arbeiten?
Kline: Sicher, und es
wäre heute auch einfacher, da ich jetzt besser Französisch spreche. Es tut
mir aber Leid, dass ich mit dem Korsischen noch nicht so weit bin!
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