Vor 70 Jahren: Das Kandidatenturnier Zürich 1953

von Stefan Liebig
30.11.2023 – Das Kandidatenturnier von Zürich und Neuhausen 1953, vor 70 Jahren, wurde durch mehrere Turnierbücher legendär. Am bekanntesten ist Bronsteins Buch. Später hat er über Absprachen geklagt. Stefan Liebig lädt zu einer Zeitreise ein. | Fotos: Dutch National Archive

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Das Kandidatenturnier 1953 in Zürich - Ein Schachepos voller Genialität (und Intrigen?)

In den Schachannalen steht das Jahr 1953 für den Schauplatz eines epischen Wettstreits: Das Kandidatenturnier in Zürich. Ein Turnier, das nicht nur die besten Schachspieler der Ära zusammenbrachte, sondern auch den Weg für einen neuen Weltmeister ebnete. Leider ist mit dem Turnier aber auch ein fader Beigeschmack verbunden – doch dazu später mehr …

Erst einmal zur Vorgeschichte: Das Kandidatenturnier diente dazu, einen Herausforderer für den seit 1948 amtierenden, sechsten Weltmeister Michail Botwinnik zu finden. Der Sowjet hatte sich 1948 im FIDE-Weltmeisterturnier durchgesetzt. Erstmals war ein Weltmeister in einem Rundenturnier ermittelt worden. Der Grund für die Ausrichtung eines solchen Superturniers war der Tod Alexander Aljechins.

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Er hatte sich 1937 zum zweiten Mal nach 1927 (dazwischen lag seine Niederlage im Jahr 1935 gegen Max Euwe) den Titel gesichert. 14 von 20 möglichen Punkten erreichte Botwinnik beim 1948er-Weltmeisterturnier in Den Haag und Moskau. Insgesamt fünf Partien spielte jeder gegen jeden der vier Gegner. Botwinnik brillierte und so hatte er am Ende drei Punkte Vorsprung und konnte seinen souveränen Sieg vor Wassili Smyslow (11), Paul Keres, Samuel Reshevsky (je 10,5) und Ex-Weltmeister Max Euwe (4) feiern.

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Die nächsten Zyklen sahen dann wieder Zweikämpfe um die WM-Krone vor. Botwinnik hatte sich nach seinem Triumph für drei Jahre vom Schach zurückgezogen und promovierte im Fach Elektrotechnik. Umso erstaunlicher, dass er im Jahr 1951 dennoch seinen Titel gegen David Bronstein verteidigen konnte. Bronstein hatte sich das Recht zum Titelkampf durch den Sieg beim ersten Kandidatenturnier im Jahr zuvor in Budapest erkämpft. Der Herausforderer erreichte ein achtbares 12:12 – doch das Unentschieden reichte Botwinnik, denn laut Regularien hätte der Herausforderer in den damaligen Vor-Tiebreak-Zeiten gewinnen müssen, um den Weltmeister zu entthronen. 1953 – also vor 70 Jahren – sollte dann der nächste Herausforderer Botwinniks ermittelt werden.

Die Bühne ist bereitet

Zürich, die malerische Kulisse der Alpen, wurde im Spätsommer und Frühherbst 1953 zum Epizentrum des Schachuniversums. Vom 29. August bis 24. Oktober fand in Zürich und Neuhausen der Showdown statt: Die herausragenden Meister des Schachspiels versammelten sich, um in einem Doppelrundenturnier zu entscheiden, wer das Recht erhalten sollte, dem sowjetischen Schachgiganten Michail Botwinnik gegenüberzutreten. Die ersten sieben der insgesamt 28 Runden fanden im Kirchengemeindehaus Neuhausen statt, ab Runde 8 spielte man im Kammermusiksaal des Deutschen Kongresshauses in Zürich.

Die Gladiatoren

Die Teilnehmerliste des Turniers liest sich wie ein Who is Who des damaligen Spitzenschachs. Für das Turnier waren die besten acht Spieler des Interzonenturniers Saltsjöbaden 1952 qualifiziert. Außerdem dabei waren: David Bronstein als Verlierer des Schachweltmeisterschaftsfinales von 1951, die Spieler auf den Plätzen zwei bis fünf des Kandidatenturniers Budapest 1950 sowie Max Euwe und Samuel Reshevsky als weitere Teilnehmer der Schachweltmeisterschaft 1948. Zum 15 Teilnehmer umfassenden Feld gehörten schließlich neun Spieler aus der Sowjetunion. Sie überließen der internationalen Konkurrenz lediglich die Ränge 4 (Reshevsky, USA), 7 (Najdorf, Argentinien) und 12 bis 15 (Szabo, Ungarn; Gligoric, Jugoslawien; Euwe, Niederlande, Stahlberg, Schweden). Jeder Spieler trat gegen seine Konkurrenten in einer Doppelrunde an. Ein Schlagabtausch, der nicht nur physische, sondern auch mentale Stärke erforderte.

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Smyslov pflegte einen klaren positionellen Stil und verließ sich auch in scharfen taktischen Stellungen häufig mehr auf seine Intuition als auf konkrete Variantenberechnung, wobei er es im Bedarfsfall durchaus verstand, brillant zu kombinieren.

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Die Eröffnungsphase – Mit neuen Varianten zum Ziel

Das Turnier begann mit einer Explosion schachlicher Kreativität. Die Eröffnungen wurden zu Schlachtfeldern der Ideen, und die Spieler versuchten, sich gegenseitig zu überraschen. Insbesondere die Kämpfe zwischen Smyslow und Keres, sowie Bronstein und Petrosian, stechen hervor. Keres demonstrierte mit scharfen Angriffen sein Können, während Petrosian mit seiner soliden Verteidigung beeindruckte.

Der Mittelteil - Taktische Meisterwerke

In der Mitte des Turniers entfalteten sich taktische Meisterwerke. Smyslow spürte lange Zeit den Atem des vorherigen Kandidatenturniersiegers Bronstein im Nacken. Der konnte jedoch nicht bis zum Ende Schritt halten. Smyslows Positionsspiel und Bronsteins Kreativität sorgten für atemberaubende Partien. 

Das Finale und die Folgen

Wassili Smyslow siegte souverän mit zwei Zählern Vorsprung auf Bronstein, Keres und Reshevsky. Damit sicherte er sich das Recht auf den WM-Finalkampf gegen Botwinnik. Das Kandidatenturnier von 1953 in Zürich hinterließ also ein nachhaltiges Erbe: Es markierte den Aufstieg von Smyslow zum Kandidaten und späteren Weltmeister und setzte die mit Botwinnik begonnene Ära sowjetischer Schachdominanz fort.

Bronsteins Turnierbuch und spätere Äußerungen

David Bronsteins Turnierbuch „Das Kandidatenturnier Zürich 1953“ wird von vielen Schachkennern zu den besten Schachbüchern gezählt.

Die Idee zu dem Werk hatte laut Johannes Fischer "Bronsteins Mentor Boris Vainshtein, seines Zeichens hochrangiger und einflussreicher KGB-Offizier. Vainshtein schrieb ‚den gesamten erzählerischen Teil‘, Bronstein steuerte nur die Analysen bei. (Vgl. Sosonko, The Rise and Fall, S. 139)".

Jahrzehnte später – nach dem politischen Umbruch in der Sowjetunion – meldete sich Bronstein erneut zu Wort und bezichtigte seine Konkurrenten, Punkte an den Turniersieger Smyslow verschenkt zu haben, um dessen Turniersieg zu sichern. Die ein oder andere Doppelnull in der Tabelle sowie manches freigiebig akzeptierte Remis können dabei zwar als Indizien, nicht aber als Beweis eingestuft werden. Einzig Kotow, dem man laut André Schulz´ Spiegelbericht „Geschichte der Kandidatenturniere – Kalter Krieg am Schachbrett“ vorwarf, KGB-Agent zu sein, verbuchte einen Sieg gegen Smyslow.

Ob diese, nicht singulären Vorwürfe je aufgeklärt werden, wird die Geschichte zeigen. Was von Zürich aber bleibt, ist ein legendäres Turnier. Das zugehörige Turnierbuch Bronsteins mit hervorragenden Analysen zu den vielen großartigen Meisterpartien sollte in keiner guten Schachbibliothek fehlen. 

Literatur:

Links:

https://de.chessbase.com/post/zuerich-1953-eine-spurensuche

https://de.chessbase.com/post/die-kandidatenturniere-1950-1953-und-1956

https://www.spiegel.de/sport/sonst/schach-geschichte-der-kandidatenturniere-kalter-krieg-am-schachbrett-a-1196918.html


Stefan Liebig, geboren 1974, ist Journalist und Mitinhaber einer Marketingagentur. Er lebt heute in Barterode bei Göttingen. Im Alter von fünf Jahren machten ihn seltsame Figuren im Regal der Nachbarn neugierig. Seitdem hat ihn das Schachspiel fest in seinen Bann gezogen. Höhenflüge in die NRW-Jugendliga mit seinem Heimatverein SV Bad Laasphe und einige Einsätze in der Zweitligamannschaft von Tempo Göttingen waren Highlights für den ehemaligen Jugendsüdwestfalenmeister.