Carlsen gegen Caruana: Blick zurück und Blick nach vorn

von Conrad Schormann
04.09.2018 – Am 9. November beginnnt in London der Weltmeisterschaftskampf zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana. Beim Sinquefield Cup 2018 trafen die beiden zum letzten Mal direkt aufeinander. Sie teilten sich den Turniersieg mit Levon Aronian, ihre direkte Partie wurde Remis, aber Carlsen stand kurz vor einem Sieg. Doch was bedeutet das für den WM-Kampf in London? Conrad Schormann ist dieser Frage nachgegangen. | Grafik: Agon

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Erste Feuerprobe für Fabis Russen: das finale Gefecht vor der Schlacht in London

Pünktlich zum WM-Match spürt Magnus Carlsen den Atem seines Herausforderers im Nacken. Vor der siebten Runde des Sinquefield-Cups war Fabiano Caruana in der Live-Weltrangliste so nahe an den seit sechs Jahren oben thronenden Carlsen herangerückt, dass ihm ein Sieg den Platz an der Spitze bescheren würde.

Es war also ordentlich Druck im Kessel vor der letzten Partie von C&C vor ihrem Match in London. „Ich war nervös. Heute stand einiges auf dem Spiel“, räumte Carlsen nach der Partie ein; eine Partie, die zeigte, dass der Weltmeister unter Druck Bestleistung abzurufen vermag – zumindest für 26 Züge.

Magnus Carlsen, wie Willum Morsch (@WillumTM) ihn sieht

Nun muss er daran arbeiten, die Spannung hochzuhalten, bis der Gegner sich geschlagen gibt. In St. Louis gelang ihm das auf spektakuläre Weise nicht. Mit dem Sieg vor Augen begab sich Carlsen vor die Live-Kameras in der Geständnisbox und bedeutete seinen Kritikern, die Klappe zu halten, eine im professionellen Sport geläufige Geste, die es in der Geschichte des Schachs noch nie gegeben hatte.

Auf dem Brett, auf dem es bis dahin prächtig gelaufen war, geriet Carlsen danach ins Trudeln, verpasste den Fast-Gewinnzug 27.f5-f6, und Caruana zog den Kopf aus der Schlinge.

Um sich in London optimistisch und entschlossen ans Brett setzen zu können, werden beide aus ihren Ergebnissen zuletzt und aus ihren direkten Begegnungen in erster Linie das Positive herausziehen wollen. Beide werden eine Menge finden. Carlsen wird optimistisch stimmen, dass er Caruana zuletzt im Griff hatte, Caruana, dass er von drei potenziellen Verlustpartien zwei gehalten und abseits davon mindestens auf dem Level von Carlsen gespielt hat – wenn nicht besser.

Nach zwei gewonnenen WM-Matches gegen Visvanathan Anand umgab Magnus Carlsen lange der Nimbus eines geduldig-gnadenlosen Vollstreckers, der die Partie nach Hause schieben wird, der seine Gegner schier zwingt zu kollabieren, wenn es ihm nur gelingt, ein wenig Druck aufzubauen und aufrecht zu halten. Diese Qualität schien ihm zuletzt abhanden gekommen zu sein, doch jetzt in St. Louis hat er sie neu entdeckt. Zwar entglitt ihm die Partie gegen Caruana, aber zwei gewonnene Seeschlagen gegen Nakamura und Karjakin sorgten gleichwohl dafür, dass sich Carlsen am Ende den Turniersieg mit Caruana und Aronian teilte.

Dafür haderte Carlsen mit seinem Pragmatismus, der doch eigentlich seinen Stil kennzeichnet. Die Stellung, in der er mit 27.f6! gegen Caruana den Sack fast schon zumachen konnte, ähnelt im übertragenen Sinne der vom Mai nach einem Eigenbau-Sizilianer gegen Wojtaszek, in der Carlsen den Gewinnzug 18.Sd5! zwar sah, aber lieber schnell einen soliden Zug spielte und den Druck aufrecht hielt, anstatt unter großem Zeitaufwand einen möglichen unmittelbaren Gewinn zu prüfen. Gegen Wojtaszek funktionierte der Ansatz, Konkretes zu vermeiden, gegen Caruana verdarb er die Partie.

Caruana in den Augen von Willum Morsch

Caruana hat zuletzt gegen Carlsen zwar erhebliche Schwierigkeiten gehabt, blickt aber auf ein nach Wijk herausragendes Jahr 2018 zurück. Sogar bei Carlsens Heimspiel in Norwegen und trotz einer Niederlage im direkten Vergleich landete er am Ende vor dem Weltmeister.

Carlsen-Caruana, Aitbox 2018

 

Und hätte Sam Shankland nicht bei der US-Meisterschaft über den Dingen gestanden, Caruana hätte in den Monaten vor der WM jedes Turnier gewonnen, an dem er teilgenommen hat.

Sicher ist, dass ein WM-Match bevorsteht, bei dem wieder die klare Nummer eins und zwei der Welt aufeinandertreffen. Das gab es schon viele Jahre nicht mehr. Noch vor dem Kandidatenturnier in Berlin war die Frage ungeklärt, wer denn nun die Nummer zwei ist und ob es überhaupt eine eindeutige Nummer zwei gibt. Diese Frage hat Caruana im zurückliegenden Halbjahr überzeugend beantwortet. Jetzt muss er nur noch die Schwierigkeiten in seinen Partien gegen die Nummer eins in den Griff bekommen, die gegen andere Gegner für ihn untypischen taktischen Fehler auch gegen Carlsen abstellen, dann könnte er Ende November selbst die Nummer eins sein.

Das letzte Aufeinandertreffen der beiden vor dem WM-Match

 

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Conrad Schormann, gelernter Tageszeitungsredakteur, betreibt in Überlingen am Bodensee ein Büro für Redaktion und Kommunikation. Fürs Schachspielen hat er zu wenig Zeit, was auch daran liegt, dass er so gerne darüber schreibt, sei es für Chessbase, im Reddit-Schachforum oder für sein Schach-Lehrblog Perlen vom Bodensee...


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