Master Class Band 9: Paul Morphy
Lernen Sie eines der größten Genies der Schachgeschichte kennen! Paul Morphys (1837-1884) Karriere dauerte nur wenige Jahre und doch gelang es ihm, die besten Schachspieler seiner Zeit zu besiegen.
Der Krebs-Geborene dürfte normalerweise schon mal ziemliche Probleme mit dem Begriff Strategie haben, denn er hasst es, zu kämpfen. Es gibt im Tierkreis kaum ein friedlicheres, sanfteres, liebevolleres Zeichen, ausgenommen das verwandte Wasserzeichen Fische und eventuell die harmoniebedürftige Waage.
Krebs mag nicht kämpfen. Er sieht überhaupt nicht ein, wozu das gut sein soll: Man kann sich doch jederzeit friedlich einigen?
Doch das Leben hat seine eigenen Methoden, Krieger zu rekrutieren. Mal abgesehen davon, dass der ehrgeizige Eroberer Julius Cäsar im Krebs geboren war und ständig völlig unfriedlich kam, sah und siegte, gibt es auch auf der Leinwand einige krasse Helden, die nicht besonders gewaltfrei auftreten: Tom Cruise, Harrison Ford oder Sylvester Stallone, allesamt Krebse, wirken in ihren Standart-Rollen meistens ziemlich bedrohlich.
Anish Giri stellt man sich als Besetzung für Rocky Balboa, Han Solo oder Ethan Hunt eher weniger vor, obwohl er am Schachbrett sicherlich die gleiche Durchschlagskraft wie die Actionhelden hat. | Foto: Lennart Ootes
Zwar besitzt der astrologische ebenso wie der biologische Krebs ein zartes, delikates rosa Innenleben (gern mit Mayonnaise). Aber er verfügt auch über einen soliden Panzer und große, kräftige Scheren. Autsch.
Herrscher dieses Zeichens ist übrigens der Mond, geheimnisvolles nächtliches Gestirn, mal dick, mal schlank, mal verschwunden, hin und wieder tagsüber zu sehen; alles irgendwie rätselhaft.
So ist auch ein zwischen dem 22. Juni und 22. Juli Geborener ziemlich unberechenbar, manchmal stark den eigenen Launen ausgeliefert. Oft hat er selbst keine Ahnung, wieso.
Der astrologische Krebs – immer mit einer Zehenspitze im Jenseits – weiß nicht, er spürt. So was ist anderen Charaktertypen schwer zu vermitteln. Sie argwöhnen einen Trick. Dabei kann Krebs gar nichts dafür und erklären kann er es schon gar nicht. Der Fachausdruck lautet Intuition und ist beim Schach natürlich unbezahlbar.
Auch das Sternzeichen Krebs hat einen Weltmeister vorzuweisen - Vladimir Kramnik. Der Kasparov-Bezwinger konnte aus den ruhigsten Positionen ein Schlachtfeld zaubern. Seine intuitive Kraft hat ihn vielleicht dazu gebracht, das Schachspiel ohne Rochade lieben zu lernen, wo die gängige Theorie erliegt.| Foto: Amruta Mokal
Ein Krebs-Geborener mag noch so intelligent sein, Gefahr nimmt er nicht über den Verstand wahr, sondern über das Gefühl. In seiner sensiblen Seele sind überall Alarmglocken angebracht. Und wenn er das Gefühl bekommt, nun gehe es ums Ganze – der Typ da am anderen Brettende hat Böses vor – dann wird es richtig gefährlich. Dann kneift er nämlich die Augen zusammen und galoppiert an die Spitze. Dann heißt es: Sieg oder Tod! Dann wird er zum Rambo oder zum peitschenschwingenden Indiana Jones, der seine Feinde platt macht, bevor sie ahnen, dass es schon losgeht.
Denkt man an Angriffsschach, kommt einem wohl unweigerlich der Name Alexei Shirov in den Sinn. Der GM ist aus der Top 100 Weltrangliste seit fast 30 Jahren so gut wie nie herausgerutscht.| Foto: Lars OA Hedlund
How to crack the Berlin Wall with 5.Re1
Alexei Shirov zeigt auf dieser DVD mit 5.Te1 gegen die Berliner Mauer eine Alternative zu 5.d4, in der Weiß Druck entwickeln und die Initiative an sich reißen kann.
So kann es passieren, dass ausgerechnet die sanftmütigen Krebse häufig die aggressivsten Schachspieler abgeben. Ehe der Gegner sich überhaupt sortiert hat, fliegen bereits die Fetzen. Man könnte sagen, er ist präventiv unterwegs, vernichtend gleich mit den ersten Zügen.
Beispielsweise ist Alexei Shirov, * 4.7.1972 – der seit den 80er-Jahren auf höchstem Niveau brilliert – für sein geradezu brutales Angriffsspiel bekannt. Er schrieb ein zweibändiges, unter Schachfreunden sehr beliebtes Buch mit dem bezeichnenden Titel: „Feuer auf dem Schachbrett“.
Alexander Morosewitsch, * 18. Juli 1977, zeichnet sich ebenfalls durch phantasievolle, attackierende Eröffnungen aus, riskant für ihn selbst, brandgefährlich für den Gegner. Und er gilt, krebstypisch, als ziemlich unberechenbar, einer, der Spiele unvermittelt abbricht, verschwindet und wieder auftaucht wie der geheimnisvolle Mond …
Bei Alexander Morozevich weiß der Gegner nie so genau, welche Eröffnung auf das Brett kommt. Der GM aus Russland verzauberte die Schachwelt ende der Neunziger und zu Beginn der 2000er mit seinem kreativen Stil. | Foto: Pascal Lautenschlaeger
Der (gewissermaßen) ‚Urvater des Schach‘ im 19. Jahrhundert, der legendäre Amerikaner Paul Morphy, *22.6. 1837, ein zartes Engelsgesicht, das nie richtig erwachsen aussah, spielte vernichtende Angriffsspiele: ein wenig seiner Zeit entsprechend, jedoch bestimmt auch seiner Persönlichkeit gemäß. An Morphys Taktik wird zweierlei gepriesen: die geradezu unnatürliche Intuition und die aggressive Schnelligkeit des Spiels. Kasparov erklärte ihn zum "Urvater des modernen Schach" und Adolf Anderssen, (selber Krebs, *6.7.1818), bemerkte über Morphy, nach einem versehentlich schlechten Zug gegen diesen jungen Mann könne man ebenso gut aufgeben. Er fügte großherzig und offenbar neidlos hinzu: "Ich gewinne meine Partien in siebzig Zügen, aber Herr Morphy gewinnt seine in zwanzig …“
Paul Morphy. Erster Zug e4, und sonst nichts! Laut Megadatabase gewann der Amerikaner 88,3% seiner 171 gespielten Spiele mit den weißen Steinen. Der Meister der Initiative hatte eine kurze, aber knackige Karriere.
Bezwungen hat Anderssen den jungen Morphy übrigens durchaus, und zwar nicht zuletzt durch die nach ihm benannte Eröffnung (1. a2–a3). Die verwendete er bei diesem Gegner im Wettkampf 1857 in Paris mehrfach, im – gelungenen – Bemühen, den Amerikaner in Geschlossene Spiele zu scheuchen.
Adolf Anderssen spielte eine der berühmtesten Schachpartien gegen Lionel Kieseritzky im Londoner Café Simpson’s - "Die Unsterbliche"
Der Mathematikprofessor Anderssen hat einige berühmte Partien gespielt, etwa die Immergrüne oder die Unsterbliche. In letzterer opferte er alle Figuren bis auf ein paar Bauern und drei Leichtfiguren, mit denen er schließlich Matt setzen konnte. Das ist eine tollkühne Krebs-Strategie, die alles auf eine Karte setzt bzw. auf drei Figürchen, und damit dann tatsächlich gewinnt.
Wie besiegt man den intuitiven, todesmutigen Krebs? Vielleicht indem man sein empfindsames Seelenleben aus dem Gleichgewicht bringt. Aber wer will das punktgenau kalkulieren? Eventuell reizt man nur seinen inneren Rambo, den Vernichter.
Kann Ian Nepomniachtchi sich tatsächlich wieder bei den Kandidaten 2022 durchsetzen? Vor dem Turnier galt er nicht als Favorit. | Photo: FIDE / Stev Bonhage
Krebs bleibt rätselhaft wie der Mond. Und das ist doch eigentlich eine lohnende Herausforderung …
Krebse haben gut zur Theorie beigetragen, und sind Namensgeber vieler Eröffnungen. Anbei eine kleine Auswahl:
Mehr zum Thema Sternzeichen, aktuellem und historischem gibt es auf dem Blog der Autorin - dagmarday.com
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