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Boris Spassky begeht heute in Moskau seinen 80.Geburtstag. Der zehnte Weltmeister der Schachgeschichte hat trotz seiner Krankheit, die ihn seit einigen Jahren an den Rollstuhl bindet, nicht viel von seinem Lebensmut und Humor verloren. Das spürte man ganz deutlich, als Spassky Ende 2015 in Berlin Ehrengast der Weltmeisterschaft im Schnell- und Blitzschach war. Doch die Zeit und das Handicap nach zwei Schlaganfällen forderten ihren Tribut. Weil es dem Jubilar momentan nicht besonders gut geht, wurde ein für den heutigen Montag im Zentralen Schachklub von Moskau geplanter Festakt zu Ehren Spasskys auf die zweite Februarhälfte verschoben.
Boris Spassky
Der zehnte Weltmeister stammt aus Leningrad. Er ist eine der erstaunlichsten Persönlichkeiten der Schachgeschichte, nicht nur wegen seiner Spielkunst, sondern auch, weil seine Karriere so ungewöhnlich verlief. Lange Zeit spielte Spassky für die Sowjetunion, doch ab 1976 lebte er dreieinhalb Jahrzehnte in Frankreich und trat in der Folge auch für dieses Land bei Schacholympiaden an.
Boris Spasskys Großvater war russisch-orthodoxer Priester, sein Vater aber hatte mit der Kirche nichts mehr zu tun. In seiner Kindheit und Jugend, die durch den zweiten Weltkrieg sowie dessen Folgen geprägt waren, lernte Spassky Not und Entbehrungen kennen. Die schweren Lebensumstände förderten nach den Worten des Moskauer Schachhistorikers Isaak Linder Boris' Hinwendung zum Schach, denn hier eröffnete sich ihm eine ganz andere, fröhliche und interessante Welt."
1955 beginnt Spasskys internationale Traumkarriere: In Antwerpen wird er Juniorenweltmeister mit 8,0 Punkten aus neun Partien. Kurz darauf qualifiziert er sich beim Interzonenturnier von Göteborg für das WM-Kandidatenturnier. Auf dem Abschlussbankett sagt der damalige FIDE-Präsident Folke Rogard zu Spassky: "Im August wurden Sie Juniorenweltmeister, im September Internationaler Großmeister. Wenn Sie in diesem Tempo weitermachen, wird es bald unmöglich sein, mit Ihnen Schach zu spielen."
Aber Spassky hat in seiner Jugend auch noch andere Interessen. Er studiert an der Leningrader Universität Journalistik und ist aktiver Leichtathlet. Aber er entscheidet sich für das königliche Spiel. Nachdem Großmeister Igor Bondarewski sein Trainer wird, geht es im Schach noch steiler bergan.
Beim Interzonenturnier 1964 teilt Spassky den ersten bis vierten Platz und schaltet in den Kandidatenkämpfen hintereinander Paul Keres, Jefim Geller und Michail Tal aus. Sein erstes WM-Match gegen Tigran Petrosjan verliert er nur knapp mit 11,5:12,5 (+3,-4,=17). Drei Jahre später hat Boris Spassky mehr Erfolg. 1969 wird er nach einem 12,5:10,5 - Sieg (+6,-4,=13) über Petrosjan zehnter Schachweltmeister.
Spektakulärer Höhepunkt in Spasskys Laufbahn ist das WM-Duell in Reykjavik 1972, in dem er von Bobby Fischer mit 12,5:8,5 entthront wird.
WM-Kampf gegen Bobby Fischer, 1972
Der Amerikaner behält in dem Nervenkrieg die größere Übersicht, ist eröffnungstheoretisch bestes vorbereitet und in bestechender Form. Zum psychologischen Rucksack für Spassky wird auch, dass er vor Reykjavik gegen Fischer einen Score von plus 3 hat. Der entthronte Champion nimmt im nächsten WM-Zyklus wieder Anlauf und unterliegt dort im Kandidaten-Halbfinale dem jungen Anatoli Karpow.
1976 verlässt Boris Spassky aus politischen Gründen die Sowjetunion und lebt danach viele Jahre in Frankreich. Schachlich wird es ruhiger um ihn, dafür genießt der Bonvivant das Leben in vollen Zügen. In den 1980er Jahren spielt Spassky in der Schach-Bundesliga bei der Solinger SG.
Er will sich danach ganz aus den Turniersälen zurückziehen, da kommt es 1992 in Restjugoslawien zum überraschenden Revanchematch gegen Fischer, der nach Reykjavik für zwanzig Jahre von der schachlichen Bildfläche verschwunden war.
Fischer-Spassky 1992
Nach der Trennung von seiner französischen Ehefrau lebt Boris Spassky seit 2012 wieder in Moskau. Ungeachtet seines gesundheitlichen Handicaps empfing er kurz vor dem 80. Geburtstag einige Journalisten und gab ihnen ein Interview. Dort erzählte er noch einmal, wie er mit dem Schachspiel Bekanntschaft machte: "Es war im Sommer 1946 in einem Kulturpark auf der Krestowski-Insel in Leningrad. Ich sah einen verglasten Pavillon, wo man Schach spielte, und wurde davon angezogen. Von diesem Moment kam ich regelmäßig dorthin. Die ersten paar Tage beobachtete ich nur, wie andere spielten und wagte es nicht, mich ans Brett zu setzen. Ich schaute auf die Partien und bestaunte vor allem die weiße Dame, weil sie so beweglich und stark war. Ich wollte die weiße Königin sogar stehlen, aber traute mich das natürlich nicht. Denn ich glaube, wenn ich die Dame gestohlen hätte, dann hätte sich die Schachgöttin Caissa früher oder später an mir gerächt. Ich aber war vom Spiel gefangen und interessierte so sehr für Schach, dass ich in der Folgezeit von morgens bis spät abends spielte. Zu Hause angekommen, fiel ich sofort ins Bett und kam am nächsten Tag zu spät zur Schule."
Spassky war dem Spiel ein Leben lang treu, aber nie so fanatisch wie andere, zum Beispiel Alexander Aljechin. Doch den vierten Weltmeister zählt der Jubilar zu seinen großen Vorbildern. "Mich beeindruckten die Klarheit seines Denkens, die großartigen strategischen Pläne, die taktische Meisterschaft und atemberaubenden Kombinationen. Wenn ich in meiner Jugend an internationalen Turnnieren teilnahm, bat ich immer Spieler der älteren Generation, die Aljechin noch kannten, mir etwas über ihn zu erzählen."
Auf die Frage, ob es einen glücklich macht, ein Schachgenie zu sein, erwiderte Spassky: "Nicht unbedingt. Es gibt viele Beispiele, dass dies nicht so ist. Eine Ausnahme bildete Michail Tal, der leicht damit umgehen konnte. Auch Capablanca kann man zu diesen Persönlichkeiten zählen. Auf ihn flogen die Frauen, aber nicht wegen seines schachlichen Talents. Sie wollten sich einfach gern mit ihm treffen."
Ihm selbst habe der Weltmeistertitel kein großes Glück gebracht, meint Boris Spassky rückblickend. "Finanziell konnte ich mein Leben ein wenig verbessern. Mehr aber auch nicht. Vielleicht wollte ich deshalb instinktiv nicht Weltmeister bleiben."
Spassky bedauert es heute jedoch, gegen Fischer nach dessen Eskapaden in Reykjavik dort weitergespielt zu haben: "Es tut mir leid, ich bin sehr traurig darüber. Als Bobby nicht zur Partie antrat, war es notwendig, das Geschenk anzunehmen. Während der Abschlussfeier sagte er mir: ‚Boris, wir werden noch ein Match spielen.‘ Und er hielt sein Versprechen. Das Re-Match war in Jugoslawien und ziemlich schwierig für ihn. Er war überlegen, aber nicht so sehr. Der Kampf war intensiv."
Rematch in Sveti Stefan
In seiner Karriere spielte Boris Spassky viele wunderbare Partien. Zu seinen Lieblingseröffnungen zählt das Königsgambit. "Ich habe es nicht in der Kindheit und Jugend gespielt, sondern erst, als ich schon ein erfahrener Spieler war. In den Händen eines Großmeisters ist diese Eröffnung eine starke Waffe", sagt der Figurenkünstler. Hier zwei berühmte Beispiele.
Boris Spassky in besseren Zeiten
Lieber Boris Vasilievich!
Ich gratuliere Ihnen herzlich zum Jubiläum!
Viele Generationen von Schachspielern lernten aus Ihren Partien. Sie haben ihnen beigebracht, nie den Mut zu verlieren, kühn zu experimentieren und unter allen Umständen zu kämpfen. Drei WM-Matches und unzählige Wettkämpfe formten Ihren Charakter.
Im Namen aller Schachfreunde möchte ich Ihnen danken, dass Sie eine Schachschule in der Stadt Satka (Region Tscheljabinsk) gegründet zu haben, wo Sie Ihre Erfahrungen an junge Talente aus dem russischen Hinterland weitergeben. Ich hoffe, bald Ihre Autobiographie mit Kommentaren zu ausgewählten Partien zu sehen. Wer könnte besser als Sie so ein Werk schreiben: der universellste Schachspieler, große Geschichtenerzähler und studierte Journalist!
Lieber Boris! Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit, unerschöpfliche Energie und Optimismus sowie neue kreative Leistungen! Erfreuen Sie uns weiter mit Ihren tiefen Reflexionen über das Leben, das Schach und mit geistreichen Aphorismen!
Andrej Filatov
Präsident des Russischen Schachverbands
Boris Spassky mit Dagobert Kohlmeyer
Wer Spassky und seinen feinen Humor aus der Ferne kennenlernen möchte, kann dies am besten mit Hilfe eines Interviews, das er im letzten Jahr dem russischen Sport Express gab und das wir in deutscher Übersetzung in vier Teilen nachdruckten:
Interview mit Boris Spassky: