
Alle Schwarz-Weiß-Fotos stammen vom Isländischen Schachverband Skáksamband Íslands.
4-3 für Fischer. Das war der Stand nach sieben Partien im Wettkampf des Jahrhunderts zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky in Reykjavik 1972. Fischer hatte die erste Partie auf traumatische Art verloren, zur zweiten Partie war er nicht angetreten und hatte kampflos verloren, doch aus den nächsten fünf Partien holte er vier Punkte. Fischers überzeugender Sieg in der 6. Partie hatte Spassky sehr beeindruckt, aber zu Beginn der siebten Partie wirkte der Titelverteidiger energisch und entschlossen. Er startete einen viel versprechenden Angriff, doch als der nicht von Erfolg gekrönt war, musste Spassky ums Remis kämpfen.
GM Robert Byrne mit Chester Fox, der sich die Medienrechte des Wettkampfs gesichert hatte, auf der Bühne in Reykjavik
In der Chess Life & Review Ausgabe vom Oktober 1972, S.607, schrieb GM Robert Byrne, der in Reykjavik vor Ort vom Wettkampf berichtete:
In der achten Partie zeigte sich die Anspannung, fast immer in der Defensive zu sein, in zwei Fehlern, die Spassky unterliefen. Beim ersten dieser Fehler kann man sich fragen, ob er die Folge einer falschen Einschätzung oder ein Übersehen war, aber der zweite war ein einfacher Einsteller, mit dem Boris sich jede Chance auf Widerstand nahm. Ansonsten war die Partie bemerkenswert, weil Bobby zum zweiten Mal im Wettkampf am Damenflügel eröffnete und Englisch spielte. Es wäre faszinierend gewesen zu sehen, wie er die Maroczy-Struktur, die er aufs Brett gebracht hatte, weiter behandelt hätte, aber nach Spasskys Fehler verlief die Partie nicht mehr in normalen Bahnen.
Hier sind Byrnes Anmerkungen zur 8. Partie (Chess Life & Review, Oktober 1972, S.609).
Der legendäre Bent Larsen, den Fischer im Kandidatenwettkampf 1971 mit 6-0 demoliert hatte, kommentierte für Schachfans in Reykjavik
Über die nächste Begegnung schrieb Robert Byrne:
Partie 9 war das bislang kürzeste und ruhigste Remis des Wettkampfs. Nach den Fehlern in Runde 8 musste sich Spassky vielleicht selber beweisen, dass er nicht einfach überrannt werden konnte. Viele Großmeister streben nach einer schweren Niederlage nach einem Remis, um das Gefühl zu bekämpfen, sie könnten nie wieder irgendetwas richtig machen. Nichtsdestotrotz verlief die Eröffnung theoretisch bemerkenswert aufschlussreich, denn im neunten Zug präsentierte Fischer mit einem unternehmungslustigen Bauernzug eine neue Idee, die er der Grünfeld-Verteidigung entlehnt hatte. Boris unternahm ein paar Versuche, um Schwächen auf Fischers Damenflügel nachzuweisen, aber konnte gegen Fischers präzise taktische Verteidigung keine Fortschritte machen. So wurde der Punkt schließlich geteilt.
In Bobby Fischer against the Rest of the World schreibt Brad Darrach: "In der zehnten Partie lief für Spassky nichts zusammen. Nach einer ausgeglichenen Eröffnung initiierte Fischer einen starken Überraschungsangriff. Spassky fing an, seine Stirn mit einem gefalteten Taschentuch abzutupfen. Bobby schaukelte auf seinem Sessel und lächelte. ... Die Menge, die Bobby nicht mochte und Spassky bewunderte, wollte den entscheidenden Schlag nicht sehen, aber niemand konnte wegschauen. 'Hinrichtungen haben etwas Faszinierendes,' meinte Gligoric. Diese war langsam, aber gründlich."
In Garry Kasparov - Meine großen Vorkämpfer, Band 6 schreibt Kasparov: "In der zehnten Partie griff der Amerikaner wieder zu seinem Lieblingszug 1.e4 und spielte die meiner Meinung nach beste Partie des Wettkampfs (und ich weiß, dass auch Bondarevsky dieser Meinung war). In diesem Kampf ging es nicht ums Leben, sondern es ging bis zum Tod, und auch Schwarz zeigte einen würdigen Kampf. Deshalb schätze ich diese Partie höher ein als die sechste: hier gab es mehr Kampf, mehr Widerstand!"
Spasskys Sekundant Krogius meinte: "Nach Boris’ Niederlage in der 10. Partie wurden die Sorgen in Moskau deutlich größer. … Die Direktoren des Sportskomitees der UdSSR und des Schachverbands schlugen vor, ich sollte für zwei bis drei Tage nach Moskau fliegen, um das schwache Spiel Spasskys zu erklären. Zum Glück für mich lehnte Boris diesen Vorschlag kategorisch ab. Was hätte ich unseren Sportdirektoren gesagt? Was geschehen ist, ist geschehen und es lohnt nicht, sich darüber aufzuregen. Spassky hoffte, sich noch einmal zu erholen und die Möglichkeiten dazu, wenn es sie denn gab, lagen in Reykjavik, nicht in Moskau."
Brad Darrach erzählt, dass zwei Isländern, Vater und Sohn, während dieser Partie ein Mann aufgefallen war, der Russisch sprach und in der Nähe der Bühne saß. Als die Partie begann, nahm er etwas aus seiner Tasche und steckte es sich in den Mund. "Dann erschien ein dünnes, festes Rohr zwischen seinen Lippen und zeigte auf die Spieler." Immer wenn ein isländischer Polizist vorbeikam, verschwand das Rohr sofort wieder im Mund des Mannes, doch wenn der Polizist vorbei gegangen war, erschien es wieder. Die isländische Polizei untersuchte den Vorfall, aber der Täter (und zwei augenscheinliche Assistenten) verschwanden nach der Partie und wurden bald nach Russland zurückgerufen. Es gab Spekulationen, dass sie versucht hatten, Fischer mit einer Hochfrequenz-Pfeife zu stören, die für das menschliche Ohr normalerweise nicht zu hören ist. Aber Bobby litt angeblich an Hyperakusis, einer erhöhten Empfindlichkeit für bestimmte Frequenzen. All das ist Spekulation, aber auch sehr gut möglich.
Boris Spassky holte aus den Partien 3 bis 10 lediglich 1,5 Punkte [Foto: Skáksamband Íslands]
Damit stand es jetzt 6,5-3,5 für Fischer. Der Weltmeister hatte seit seinem Sieg in der ersten Partie nicht mehr gewonnen und aus den letzten acht Partien nur 1,5 Punkte erzielt - mit drei Remis. Robert Byrne meinte: "Wenn es Spassky nicht gelingt, seine Ressourcen für ein überraschendes Comeback zu sammeln, dann dauert dieser Wettkampf keine 24 Partien."
Hier sind die Zeiten, die beide Spieler in den Partien 8 bis 10 jeweils für ihre Züge verbraucht haben. Aufgeschrieben hat sie Lawrence Stevens, der in Reykjavik dabei war und die Bedenkzeiten mit Hilfe der Videoübertragungen notiert hat.
Game 8, July 27, 1972 Fischer Spassky (ar) indicates a player's arrival |
Game 9, August 1st, 1972
Spassky Fischer |
Game 10, August 3-4, 1972 Fischer Spassky |
In Partie acht dachte Spassky 59 Minuten über seinen 11. Zug nach, deutlich länger als Fischer und Spassky über irgendeinen anderen Zug im Wettkampf nachgedacht haben.
In der neunten Partie hatte Spassky die Bühne bereits verlassen, als Fischer zur Partie erschien und erschien erst vier Minuten, nachdem Fischer seinen Zug gespielt hatte.
In Partie zehn gab Fischer seinen 41. Zug ab und dann wurde seine Uhr um 20 Minuten vorgestellt, um auf fünf Stunden Spielzeit zu kommen. Am nächsten Tag begann der Schiedsrichter die Wiederaufnahme der Partie pünktlich, öffnete den Umschlag mit dem abgegebenen Zug, führte Fischers 41. Zug auf dem Brett aus und setzte Spasskys Uhr in Gang. Keiner der beiden Spieler war dabei auf der Bühne. Fischer kam als erster zur Wiederaufnahme der Partie, acht Minuten zu spät. Spassky war 13 Minuten zu spät.
Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (1)
In der letzen Juniwoche 1972 war die Schachwelt im Aufruhr. Der Weltmeisterschaftskampf zwischen Titelverteidiger Boris Spassky und Herausforderer Bobby Fischer sollte am 1. Juli in Reykjavik beginnen. Aber von Fischer war in der isländischen Hauptstadt nichts zu sehen. Die Eröffnungsfeier fand ohne ihn statt und die 1. Partie, die am 2. Juli gespielt werden sollte, wurde verschoben. Doch in den frühen Morgenstunden des 4. Juli traf Fischer schließlich in Reykjavik ein. Frederic Friedel berichtet.
Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (2)
Das legendäre "Match des Jahrhunderts" zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer wurde in der Laugardalshöllin in Reykjavik gespielt. Dies ist Islands größte Sportarena, 5.500 Zuschauer haben hier Platz. Auch Konzerte finden hier statt - Led Zeppelin, Leonard Cohen und David Bowie haben hier schon gespielt. 45 Jahre nach dem Spassky-Fischer Spektakel besuchte Frederic Friedel die Laugardalshöllin und hat ein paar Schätze entdeckt.
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (3)
Am 11. Juli 1972 begann das legendäre "Match des Jahrhunderts" zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer endlich. Doch Fischer kam zu spät zur ersten Partie, der Straßenverkehr hatte ihn aufgehalten. Fischer hatte in der ersten Partie Schwarz und spielte zur allgemeinen Überraschung nicht wie meist Grünfeld oder Königsindisch, sondern Nimzo-Indisch. Die Partie verlief in ruhigen Bahnen und die meisten Experten rechneten mit einem Remis. Doch dann, im 29. Zug, nahm Fischer einen vergifteten Bauern. "Ein Zug und wir machen in der ganzen Welt Schlagzeilen!", kommentierte einer der Organisatoren glücklich.
Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (4)
Bobby Fischer, Herausforderer und Favorit im WM-Kampf gegen Boris Spassky in Reykjavik 1972, verlor die erste Wettkampfpartie auf dramatische Weise. Fischer erklärte, ihn hätten die Kameras gestört. Zur zweiten Partie trat der Amerikaner aus Protest nicht an und verlor kampflos. Damit lag er im Wettkampf 0-2 zurück. Fischer hatte schon einen Rückflug nach New York gebucht, aber spielte die dritte Partie dann doch – in einem Raum hinter der Bühne!
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (5)
Nach drei Partien stand es im Match des Jahrhunderts 2:1 für den amtierenden Weltmeister. In Partie vier spielte Spassky eine gut vorbereitete Variante des Sizilianers und erhielt starken Angriff. Fischer verteidigte sich zäh und die Partie endete mit Remis. Dann folgte eine Schlüsselpartie, über die GM Robert Byrne, US-Meister 1972 und Korrespondent der New York Times und Chess Life, berichtet hat. In Reykjavik verfolgte Schachenthusiast Lawrence Stevens aus Kalifornien die Partien besonders aufmerksam: er schrieb per Hand auf, wie viel Bedenkzeit die Spieler für jeden Zug verbraucht hatten.
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (6)
Im sechsten Teil unserer Serie schauen wir uns an, was beim Wettkampf des Jahrhunderts Fischer gegen Spassky 1972 in Reykjavik hinter den Kulissen geschah. Spassky wurde von seinen Sekundanten umsorgt und von den sowjetischen Autoritäten unter Druck gesetzt. Geholfen hat es ihm nicht. Ein schwerer Schlag war Spasskys Niederlage in der sechsten Partie. Fischer spielte zum ersten Mal in seinem Leben Damengambit mit Weiß, Spassky konnte oder wollte sich nicht an seine Vorbereitung erinnern und Fischer gewann eine Glanzpartie.