Robert Hübner – der Unvollendete

von Thorsten Cmiel
21.01.2025 – Wenn man sich mit dem erfolgreichsten deutschen Schachspieler der Nachkriegsgeschichte beschäftigt, stößt man auf Widersprüche. Auf dem Schachbrett und nebendran. Eine nicht nur schachliche Spurensuche von Thorsten Cmiel. | Foto: Hartmut Metz

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Der Beitrag erschien zuerst in Thorsten Cmiels Blog Chessecosystem. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Ich erlebte Robert Hübner zuletzt in seinen späten Jahren bei Vorträgen der Deutschen Seniorenmeisterschaften in Bad Wildungen. Zuletzt wirkte er etwas abgemagert, aber ohne den Hinweis im Frühherbst 2024, dass Robert Hübner an einer Krebserkrankung laboriere, es wäre mir nicht aufgefallen. Hartmut Metz erinnerte für Chessbase an die Veranstaltungen und verfasste für die taz einen Nachruf.

Foto: Hartmut Metz

Robert Hübner wirkte auf mich immer wie der Antiheld. Er prägte zumindest in Deutschland das Bild das von Schachspielern in der Öffentlichkeit jahrzehntelang gezeichnet wurde und keinesfalls positiv besetzt war: Schachspieler sind eher schrullige, meist introvertierte Typen, die komplett verkopft und überaus intelligent sind. Nichts davon hat mit der Realität zu tun. Aber auf den Doktor trafen manche dieser stereotypen Eigenschaften tatsächlich zu. Auch wenn das nur an der Oberfläche kratzt.

Der späte Robert Hübner erklärte, dass ihm das Übersetzen alter Schriften mehr Spaß bereite als das Schachspiel. Ob das für den jungen Hübner schon so stimmte, darf bezweifelt werden, denn immerhin gab er vor Meran 1980 seinen akademischen Job als Papyrologe auf und konzentrierte sich ganz auf das Schachspiel. Außerdem unternahm er viele Versuche, einen Kampf um die Weltmeisterschaft zu erreichen: Robert Hübner nahm an sechs WM-Zyklen teil. Beim Kandidatenfinale 1980 in Meran war er sogar nah dran. Zuvor hatte der Deutsche die Ungarn András Adorjan (1950 – 2023) und Lajos Portisch (*1937) geschlagen. Drama war bei Robert Hübner immer irgendwie. Aber davon später mehr. Beginnen wir einige Erinnerungen an den „Doc“, wie einige ihn nannten, mit etwas Statistik und interessanten Momenten auf dem Schachbrett gegen andere Topspieler seiner Zeit.

   


Die Grafik (erstellt mit Chessbase) zeigt die Eloentwicklung von Robert Hübner seit Einführung der Elozahlen. Der Kölner war rund um seinen zweiten Anlauf auf die Weltmeisterschaft 1980 auf dem Höhepunkt seines Wirkens am Schachbrett. Er erreichte hinter Karpow und Kortschnoj kurzzeitig den dritten Rang in der Weltrangliste. Die Elozahlen waren damals noch niedriger und müssen daher in ihrer Zeit betrachtet werden. Im Oktober 2005 hatte der Doc noch eine Elo von 2637 und war die Nummer 71 in der Welt. Er spielte aber kaum noch.


   

Robert Hübner und Tigran Petrosjan

Tigran Petrosjan wurde 1929 in Tiflis, im heutigen Georgien geboren. Berichten zufolge war der junge Tigran wegen einer Mittelohrentzündung während des zweiten Weltkriegs auf einem Ohr taub. Ein Detail, das später eine Rolle in der Schachwelt spielte. Als Vollwaise zog Petrosjan nach dem zweiten Weltkrieg nach Jerewan. 1963 gewann Petrosjan seinen WM-Kampf gegen Mikhail Botwinnik und verteidigte diesen 1966 zunächst gegen Boris Spassky, der ihm drei Jahre später den Titel dann abnahm. Petrosjan war zudem einer der erfolgreichsten Spieler bei Schacholympiaden.

Tigran Petrosjan starb 1984 mit 55 Jahren in Moskau. Petrosjan war Berichten zufolge an Magenkrebs erkrankt und hatte vorher stark abgenommen. Petrosjan ist inzwischen eine Art armenischer Nationalheld und seit 2018 findet sich sein Abbild auf einer armenischen Banknote.


Die obige Stellung stammt aus der Partie von Robert Hübner und dem Exweltmeister Tigran Petrosjan bei der Schacholympiade 1972 in Skopje. Die Partie wurde in manchen Nachrufen ohne weiteren Kommentar mit dem Ergebnis, Weiß gewann (1-0), angegeben. Ist das ein Fehler beim Ergebnis? Verstehe ich überhaupt nichts vom Spiel? Die Stellung ist eindeutig ausgeglichen. Ich prüfte das Ergebnis also nach und tatsächlich Hübner holte einen vollen Punkt gegen das Team der Sowjets. Aber was war passiert, fehlten Züge? Der Kampf ging übrigens trotz dieses Punktes mit anderthalb zu zweieinhalb für das deutsche Team verloren.

Bei der Suche nach den Hintergründen entdeckte ich den hervorragenden Artikel von Johannes Fischer aus dem kulturellen Schachmagazin Karl. Johannes ist gebürtiger Hamburger, studierte Literatur in Frankfurt und arbeitet jetzt als Redakteur bei ChessBase. In dem Text beschäftigte er sich mit dem Olympiaspieler Tigran Petrosjan und die Partie aus Skopje fand dort ebenfalls eine Erwähnung. Zu der obigen Stellung schreibt Johannes: „Mit seinem letzten Zug (37…Td8xd6) überschritt Petrosjan die Zeit. Nach 38.Txa5 Tb6 nebst 39…b3 ist die Stellung Remis. Dann zitiert er Raj Tischbierek und der schrieb dazu:


"Bei dem in Skopje verwendeten Uhrentyp fiel das Blättchen scheinbar eine Minute vor Ablauf der Zeit. Als Petrosjans diesbezüglicher Protest vom Schiedsrichter abgewiesen wurde, warf er die Uhr empört auf das Brett."

Dieses kleine Rätsel um die einzige Niederlage von Petrosjan bei einer Schacholympiade scheint also gelöst. Johannes schrieb mir, dass ein Foto von Petrosjan existiere, wie dieser die Uhr verärgert auf den Tisch wirft, aber er habe es nicht finden können. Ich suchte auch etwas im weltweiten Netz, aber wurde ebenfalls nicht fündig. Schade. Zur Illustration wählte ich stattdessen das obige Foto aus Wijk an Zee aus. Es stammt wie andere Fotos – oft ohne Angabe des Namens eines Fotografen – in diesem Artikel aus einem Niederländischen Nationalarchiv, ANEFO.

Kandidatenviertelfinale Sevilla 1971

Aus schachhistorischer Sicht bemerkenswerter war sicherlich der erste Kandidatenwettkampf für den der deutsche Großmeister sich qualifizierte. Das Viertelfinale zwischen Hübner und Petrosjan fand 1971 in Sevilla statt. In diesem Wettkampf wurde Hübner Berichten zufolge durch Lärm gestört, der im Turniersaal herrschte. Die dazugehörige Geschichte lautet, dass der schwerhörige Petrosjan sein Hörgerät abstellen konnte. Hübner litt stärker unter den Umständen und fühlte sich benachteiligt. Nach der verlorenen siebten Partie brach der Deutsche den auf zehn Partien angelegten Wettkampf ab. Bis dahin waren sämtliche anderen Partien im Kandidatenwettkampf Remis ausgegangen – mit Vorteilen Petrosjan. Sogar die New York Times berichtete einen Monat später über den Abbruch. Erinnert wurde daran, dass Hübner schon vor dem Wettkampfort Sevilla abgelehnt habe – mit der fadenscheinigen Begründung, dass Petrosjan klimatische Vorteile hatte.


"Ich beendete den Kampf seinerzeit, weil ich der Auffassung war, dass sich Petrosjan, der Schiedsrichter und die Organisatoren unkorrekt gegen mich verhielten." (Robert Hübner in: DER SPIEGEL 5/1981)

Auch der Ausgang dieser Partie kommt überraschend. Die Angaben im Bulletin zum Wettkampf waren allerdings öfters fehlerhaft. Weiß kann hier mit seiner Dame nicht einfach nach e2 ziehen, da Schwarz mit dem Läufer ein unangenehmes Schach auf e5 geben würde. Der richtige Zug war hier mit dem Turm nach b4 zu ziehen und die gegnerische Dame zu attackieren. Die zieht nach d3 und wird getauscht. Danach sollte keine Seite größere Schwierigkeiten haben, die Stellung im Gleichgewicht zu halten. Hübner spielte allerdings viel schlechter und zog seine Dame nach c2. Tigran Petrosjan dürfte überrascht gewesen sein und nahm die Figur auf e1 weg. Einen Zug später gab Hübner auf. Der grobe Fehler in der betrachteten Stellung war also der vorletzte Zug des Wettkampfes in Sevilla.

Robert Hübner spielte laut Datenbank 14 Partien gegen Tigran Petrosjan. Seine fünf Schwarzpartien remisierte der deutsche Großmeister, während er mit Weiß nur die eine Partie in Skopje 1972 gewinnen konnte und zwei Partien verlor. Dramatisch und komplett unverständlich war ebenfalls Hübners Niederlage gegen Petrosjan beim Interzonenturnier 1976 in Biel. Ein absurder Moment, der die Schachhistorie ebenfalls beeinflusste.


Der deutsche Großmeister sollte hier mit seiner Dame auf e8 einen einfachen Mattangriff einleiten, der zumindest die gegnerische Dame erobert hätte. Robert Hübner deckte stattdessen mit seinem nächsten Zug den Bauern f4, den Petrosjan einfach mit dem Springer wegnahm und die Stellung zunächst ausglich. Kurz danach gewann Petrosjan sogar noch. Letztlich verpasste Robert Hübner mit 11,5 aus 19 vor allem wegen dieser einen Partie aus der vorletzten Runde den Einzug in die Kandidatenwettkämpfe, wohingegen Tigran Petrosjan sich später mit zwölf Punkten in einem Stichkampf im italienischen Varese gegen Portisch und Tal durchsetzen konnte. Petrosjan unterlag dann später Viktor Kortschnoj im Viertelfinale. Der wiederum gewann weiter und verlor gegen Karpow 1978 im philippinischen Baguio City. Robert Hübner hatte seine zweite Chance auf einen Anlauf zur Schachweltmeisterschaft verpasst.


"Wie ein Schüler, der, vom Lehrer aufgerufen, eine geometrische Aufgabe zu lösen, auf die Tafel starrt: Die Kreidezeichen verschwimmen vor seinen Augen, während die Klassenkameraden fröhlich lärmen; einige bewerfen sich mit Papierkügelchen, andere flüstern sich die Lösung der Aufgabe, über ihre Leichtigkeit kichernd, zu — so glotzte der Führer der weißen Steine glanzlosen Auges auf die Stellung, während die Zuschauer rumorten." Robert Hübner über diese Situation. Zitiert nach: Jetzt oder nie. DER SPIEGEL 46/1979.

Angesichts der Dramatik dieser drei Partien ist es schwierig eine Einschätzung vorzunehmen, ob Petrosjan dem Deutschen als Gegner nicht gelegen hat. Robert Hübner scheint sich in den Partien gegen den Armenier jedenfalls weitgehend selbst geschlagen zu haben. Dieses scheinbare Muster ist in Hübners Wirken auf dem Brett häufiger zu entdecken.


Robert Hübner und Viktor Kortschnoj

1980 war Hübner näher dran am Wettkampf um die Schachweltmeisterschaft als jemals zuvor oder später wieder. Die wahren Hintergründe die in der zweitgrößten Stadt Südtirols die Schachwelt erschütterten sind bis heute nicht restlos bekannt und daran ist Robert Hübner selbst nicht ganz unschuldig. Nach dem frühzeitigen Ende des Wettkampfes, Robert Hübner war nach der zehnten Runde bei zwei noch offenen Partien und einem Punkt Rückstand abgereist, erklärte Hübner sich nicht. Später gab er dem Spiegel ein denkwürdiges Interview, das die Spekulationen um den Abbruch weiter anheizte. Aber bleiben wir zunächst bei Hübners Bilanz auf dem Brett gegen Viktor Lvovich Kortschnoj (1931 – 2016). Die Megadatabase kennt 56 Partien der beiden Spieler inklusive weniger Schnellschachpartien gegeneinander – ohne zwei abgebrochene und nie beendete Partien in Meran. Damit war der spätere schweizerische Dissident, der in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg geboren wurde, der Gegner mit dem Robert Hübner am zweithäufigsten gespielt hat. Nur gegen den niederländischen Großmeister Jan Timman finden sich mit 60 Partien mehr Begegnungen in den Datenbanken. Gegen Kortschnoj ist die Bilanz des deutschen Großmeisters leicht positiv. Nur 25 Partien der beiden Kontrahenten endeten Remis.

Wer mehr über Viktor Kortschnoj wissen will, dem sei der Text von André Schulz empfohlen, der zum 80. Geburtstag das Leben von Kortschnoj nachzeichnete.

Die ersten zwei Partien der beiden verlor Robert Hübner in Wijk aan Zee 1971 und beim Interzonenturnier in Leningrad 1973. Kortschnoj und Karpov gewannen das Turnier in Leningrad und qualifizierten sich zusammen mit dem US-Amerikaner Robert Byrne (1928 – 2013) für die Kandidatenkämpfe. 1973 gab es ein Trainingsmatch mit Hübner und Kortschnoj in Solingen, das ebenfalls von Viktor dominiert wurde. Eine positionelle Demonstration war die insgesamt dritte Partie der beiden Kontrahenten, die hier eine Drachenvariante mit vertauschten Farben spielten.


In dieser Stellung zog Viktor Kortschnoj seinen Turm im 21. Zug nach a7. Ein Standardmanöver in diesem Stellungstyp des „Drachentöters“. Der Turm soll nach e7 gebracht werden und so gegen den rückständigen Bauern auf e2 wirken. Nach möglicher weiterer Vorbereitung wird Schwarz den Springer auf e4 verjagen und bei stabiler eigener Zentrumskontrolle am Königsflügel aktiv werden. Die Partie ist insofern beeindruckend als Kortschnoj die Stellung gezielt anstrebte und Hübner früh überfordert wirkte. Zum Ende des Kampfes stabilisierte sich Robert Hübner und verlor den achtrundigen Kampf nur knapp (3.5 – 4.5). Es folgte eine längere Periode in der Hübner laut Datenbank nicht gegen Kortschnoj spielte. Bis Meran 1980.

Kandidatenfinale Meran 1980

Im Mittelpunkt der Begegnungen beider Spieler stand natürlich der Wettkampf in Meran 1980. Vorgesehen waren eigentlich 16 Partien. Die zehnte Partie stand etwas besser für Kortschnoj.

Der Wettkampf in Meran begann 1980 zur Weihnachtszeit und endete 1981. Michael Dombrowsky beschrieb 2016 für Chessbase die Stimmung im Lager von Robert Hübner, die nicht sonderlich gut ausfiel. Der größte Störenfried scheint Hübners damaliger Manager Wilfried Hilgert gewesen zu sein. Der Schachjournalist Stefan Löffler formulierte 2025 in seiner FAZ-Kolumne so: „Dort versagte Hilgert als Delegationsleiter. Er schaffte es nicht, seinen Spieler vor den Reportern abzuschotten, und vergiftete die Atmosphäre mit wüsten Angriffen gegen Viktor Kortschnoi, der nach seiner Flucht aus der Sowjetunion vorübergehend selbst bei Hilgert in Köln gewohnt und für ihn gespielt hatte, aber inzwischen zu seiner späteren Frau in die Schweiz gezogen war. Hübner geriet in Rückstand und brach nicht nur das Match ab sondern auch mit seinem Mäzen.“

Dennoch sind die Umstände der Aufgabe und der „privaten Gründe“ für die Aufgabe im Match noch nicht vollkommen ausgeleuchtet. Es besteht die Hoffnung, dass sich das noch ändert. Weitergehende Spekulationen verbieten sich bei der bisherigen nicht ausreichenden Quellenlage, zumal Hübner manches selbst geheim gehalten hatte. In einem SPIEGEL Interview sagte der Kölner zu den Gründen für seinen Rückzug:


"Dafür gibt es einen Komplex von Gründen. Einige von ihnen sind privater Natur. Daher eignet sich das Thema nicht zur Darlegung in der Öffentlichkeit."

Am 21. März 1981, also kurz nach dem Match in Meran erschien ein Artikel von dem neuseeländisch- britischen Schachgroßmeister Murray Chandler, Jahrgang 1960, der Robert Hübner zufällig in Hamburg getroffen hatte. Chandler erwähnte, dass Hübner seine innere Kontrolle verloren habe. Chandler berichtet über die Kontroverse zwischen Hübner und Wilfried Hilgert, der lange Zeit Hübners Mäzen war. Chandler erwähnt die beiden Stellungen aus den zwei Hängepartien, die er beide für nicht verloren hielt – ein Argument, das schnell nach der Flucht von Hübner, der aus Meran mit dem Zug abgereist war, aufgekommen war. Der Kampf war also nicht verloren. Auch gegenüber Chandler erwähnte Hübner die privaten Gründe. Chandler zitiert Hübner mit den Worten: „Ich schaute mir das gesamte Theater an, es war lächerlich. Zu viele Dinge passierten, die nichts mit Schach zu tun hatten.“

Murray Chandler war später vor allem als Schachbuchautor und Schachjournalist tätig. Zu seinen Werken als Autor gehören mehrere Schachbücher für Kinder.

Chandler und Hübner waren Co-Autoren eines SPIEGEL-Buches, das im Rowohlt Verlag unter dem Titel, Schachweltmeister – Der Titelkampf 1981, erschien, von Werner Harenberg herausgegeben wurde und 18 Mark kostete. Mitarbeiter war unter anderen Gisbert Jacoby, der einige Jahre später zusammen mit anderen das Unternehmen Chessbase in Hamburg gründete. Einer der ersten Mitarbeiter war Robert Hübner.

Quelle des Zeitungsberichts: „New Zealand Listener“ war ein Wochenmagazin, das 2020 von der Bauer Media Gruppe eingestellt wurde. Die Namensmarke wird weiter von der Tageszeitung „The New Zealand Herald“ (seit 1863) benutzt.

Das bislang vielleicht wichtigste Dokument mit Äußerungen von Robert Hübner zu seinem Abbruch in Meran erschien bereits wenige Tage nach dem Wettkampf. Der SPIEGEL-Autor Werner Harenberg (9. Juni 1929 – † 14. Februar 2014) hatte offenbar ein ausreichendes Vertrauensverhältnis zu Robert Hübner aufgebaut. »Nicht wie ein Affe im Zoo«. Hübner hielt sich für spielunfähig, sonst hätte er den Kampf nicht aufgegeben war seine damalige Selbsteinschätzung und Selbstdiagnose. Hübner traf die Entscheidung für die Aufgabe alleine und informierte weder Hilgert noch seine Sekundanten Hort und Sigurjonnson noch seinen Psychologen Renato Lorenzetto vorher. Hübner erhielt sein Honorar von 41.000 Schweizer Franken trotz der frühzeitigen Abreise.

Die öffentliche Berichterstattung im SPIEGEL hatte zuvor offenbar Einfluss auf den Wettkampf. Nicht alle Texte sind ausnahmslos gelungen. Ein Text von Peter Brügge „Nachher in Armut verkommen“ war sicher kein journalistisches Glanzstück und transportierte einen Mix aus teilweise bösartigen Vorwürfen, die teilweise von Hilgert stammten. „Peter Brügge“ war ein Pseudonym für den SPIEGEL-Journalisten Ernst Hess (1928 – 2019). Hübner fühlte sich genötigt auf die Vorwürfe im Text zu reagieren und verlor darüber vermutlich einen Teil der notwendigen Konzentration auf seine eigentliche Aufgabe.


Was in Meran auf dem Schachbrett passierte – oder am Ende eben nicht

Das Finale der Kandidatenwettkämpfe begann am 20. Dezember 1980 mit einem grandiosen Sieg des deutschen Großmeisters im Königsangriff gegen die eigentlich als besonders solide geltende Caro-Kann Verteidigung seines Gegners. Kortschnoj gelang in der zweiten Partie der sofortige Ausgleich.


  

   


   

Nach diesem aufregenden Start in den Wettkampf remisierten die beiden Spieler ihre nächste Partie nach 34 Zügen. In der vierten Runde gelang Robert Hübner ein Sieg mit den schwarzen Steinen und der Kölner übernahm erneut die Führung im Match. In der vierten Partie, die Heiligabend gespielt wurde, gelang Kortschnoj in der Eröffnung wenig und er stand nach zwanzig Zügen bereits deutlich schlechter.



In der fünften Partie versuchte Hübner wenig gegen die Französische Verteidigung seines Gegners. Die sechste Partie dauerte länger, zeigt aber auch die Verzweiflung von Viktor dem Schrecklichen Kortschnoj, der mit Hübners Spiel in Meran zu diesem Zeitpunkt nicht zurecht kam. Der Passschweizer versuchte mit Turm und Springer gegen einen Turm zu gewinnen und spielte einige belanglose Züge. Der schachliche Knackpunkt war die folgende siebte Partie.

   


Die Siebte – Blackout   

In der siebten Partie, die am 30. Dezember 1980 gespielt wurde, passierte einer der gröbsten Fehler der Schachgeschichte auf Spitzenniveau. Robert Hübner spielte hier den Königszug, der ein grober Fehler war, da die Springergabel auf e3 einen ganzen Turm gewinnt. Ein klassischer Blackout. Im SPIEGEL (04/1981) stand zu lesen: „Der Deutsche wartete den Verlust dieser Figur gar nicht erst ab und gab auf.“ In elektronischen Datenbanken findet sich die Notation inklusive der Springergabel auf e3. Der Wettkampf war ab hier ausgeglichen. Allerdings scheint die Partie Hübner, der in der achten Partie erneut verlor, aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben.

   


Die Achte – Führung Kortschnoj

   


Die Neunte – abgebrochen, nie beendet

Einen Tag nach der Niederlage in der achten Runde folgte eine Weißpartie für Robert Hübner. In dieser Stellung wurde die Partie abgebrochen. Es ist natürlich nicht bekannt, welchen Zug Kortschnoj hier abgegeben hat, aber ein Schachgebot auf c1 mit dem Turm war eine gute Wette, um weitere Operationen vorzubereiten und erst nach ausführlicher Analyse folgen zu lassen. Der weiße Läufer erweist sich als nicht stark genug, um irgendeinen Vorteil nachzuweisen. Falls Weiß auf a7 den Bauern schlägt, ginge dieser in vielen Varianten verloren. Plausibel war in der Diagrammstellung die Folge: 46…Tc1+ 47.Kg2 Sc5 48.Td4+ Kc8 49.Lxa7 Kb7 50.Lxb6 Kxb6 mit gleichem Spiel nach 51.Td6+ Ka5 52.Tc6 Kb4 53.b6 Tb1.

Die späten Jahre

Nach den dramatischen Ereignissen in Meran spielten Robert Hübner und Viktor Kortschnoj noch häufiger gegeneinander. Meist hatte der deutsche Großmeister die Nase vorn. Die letzten Begegnungen der beiden Kontrahenten fanden in einer schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft 1998 und 2008 statt. Hübner gewann die vorletzte Partie und die letzte Partie endete Remis. Vielleicht machten sich zuletzt die 17 Jahre Altersunterschied bemerkbar. Viktor Kortschnoj starb am 6. Juni 2016 in der Schweiz im Alter von 85 Jahren.

Zwei überzeugende Siege von Robert Hübner gegen Viktor den Schrecklichen in zwei späteren Superturnieren (Linares 1985 und Wijk aan Zee 1987) sollen diesen vergleichenden Teil abschließen.

Die Betrachtungen zu Robert Hübner werden in einem späteren Beitrag fortgesetzt…Kandidatenviertelfinale Velden 1983….Kandidatenachtelfinale Sarajevo 1991….sein Verhältnis zum Deutschen Schachbund.

Einige Quellen

Johannes Fischer über den Schachpublizisten Robert Hübner

Johannes Fischer erinnert an das Buch Büsum 1968: Erinnerungen von Robert Hübner

Conrad Schormann erinnert an das NIC Interview 1997 von Robert Hübner mit Dirk Jan ten Geuzendam

WM-Zyklus mit Finale Meran 1980 war mehrfach Thema im Magazin: DER SPIEGEL

Jetzt oder nie. 46/1979

Knacks gegeben. 04/1980

Wieder ein Deutscher? 51/1980

Nachher in Armut verkommen. 53/1980

Nicht Sklave, nicht Geldgeber. 01/1981

Angst im Magen. 03/1981

Nicht wie ein Affe im Zoo. 05/1981

Irresein als Berufskrankheit. 40/1981 – Ein bizarres, gleichwohl bemerkenswertes Streitgespräch u.a. mit Robert Hübner und Helmut Pfleger und Adrianus Dingeman (Adriaan) de Groot (1914 – 2006). Hübner scheint sich nicht sehr amüsiert zu haben bei dem Thema und antwortete einmal auf die Frage, ob er sich mit dem Thema Tragödien von Schachspielern beschäftigt habe: „Die Summe der Zeit, die ich für die Beschäftigung mit diesem Thema aufgewandt habe, ist natürlich größer als diejenige, welche ich bisher für das Studium der Raffzähne des Kaninchens verbraucht habe.“


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.
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