Auf den Spuren von... Nihal Sarin!

von Thorsten Cmiel
12.04.2018 – Nihal Sarin ist 13 Jahre alt, stammt aus Indien, hat zur Zeit eine Elo-Zahl von 2551 und gilt als eines der größten Schachtalente der Welt. Großmeisterstärke hat er bereits, zum Titel fehlt nicht mehr viel. Thorsten Cmiel hat sich das Spiel und die aktuelle Entwicklung des jungen Inders, in dem viele eine zukünftigen WM-Kandidaten sehen, genauer angeschaut. (Foto: Lennart Ootes)

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GM-Norm in Reykjavik

Nihal Sarin ist dem Großmeistertitel in Reykjavik 2018 wieder ein Stück näher gekommen. Die Ratingzahl hat er schon, die Spielstärke sowieso. Jetzt fehlt ihm nur noch eine Norm.

Beim Aeroflot-A-Open, das kurz vor dem Open in Reykjavik stattfand, hatte Nihal in der zweiten Hälfte des Turniers unglücklich agiert und war im gesamten Turnier ohne einen einzigen Sieg geblieben. Das anschließende Blitzturnier lief dann besser.

Aber Reykjavik gefällt Nihal traditionell gut, hier hatte er 2017 schon ein erfolgreiches Turnier gespielt. Da Nihal direkt aus Moskau kam, wo Temperaturen von minus 20 Grad herrschten, machten ihm die niedrigen Temperaturen in Island nicht zu schaffen, wie er in einem Interview mit Fiona Steil-Antoni während des Turniers zum Besten gab. Am Tag vor Turnierbeginn spielte Nihal in Reykjavik noch eine Simultan-Veranstaltung im Fischer-Random. Er gewann dabei neun und remisierte zwei Partien. Auf Twitter (LINK: https://twitter.com/nihalsarin) räumte er anschließend ein, dass es eine Herausforderung war sich an die Stellungen zu gewöhnen. Zum Glück hinderte diese Episode im Experimentalschach Nihal nicht daran, erfolgreich ins Turnier zu starten.

Nach zwei nicht ganz einfachen Pflichtsiegen spielte Nihal in der dritten Runde gegen den Topgesetzten Richard Rapport, gegen den er kurz zuvor beim Online-Blitz gewonnen hatte. Die Paarung gegen Rapport war Nihals dritte Turnierpartie gegen einen Super-Großmeister, nachdem er im Vorjahr schon gegen Andreikin remisiert und gegen Naiditsch verloren hatte. Gegen Richard Rapport folgte ein recht ereignisloses Remis, wobei Nihal in keiner Phase der Partie ernsthaft in Gefahr geriet.

Dann kam Nihals beste Turnierphase mit zwei überzeugenden Siegen in Serie gegen zwei gute Großmeister, und ab hier war nur noch die Frage, wann Nihal seine Großmeisternorm in der Tasche haben würde. Es folgte ein starkes Remis gegen Gata Kamsky. Nihal konnte nach der Eröffnung die besseren Chancen reklamieren und übte die gesamte Partie hindurch Druck aus.

In der siebten Runde zündete Nihal gegen Yilmaz Mustafa in ungefähr ausgeglichener Stellung ein Feuerwerk. Hätte Nihal diese Partie gewonnen, wäre sogar der Turniersieg möglich gewesen. Der türkische Großmeister wehrte sich allerdings hartnäckig, und Nihal ließ einige gute Chancen auf Vorteil aus, bevor die beiden Spieler sich friedlich einigten. In der neunten und vorletzten Runde sicherte Nihal sich durch eine dreimalige Zugwiederholung ein Remis und damit zugleich eine GM-Norm. In der Schlussrunde war vermutlich die Luft raus bei Nihal, der es mit der Berliner Mauer versuchte, aber von seinem französischen Gegner überzeugend geschlagen wurde.

Nihal Sarin (Foto: Lennart Ootes)

Es fiel auf, dass Nihal seine Gegner in Reykjavik nicht mehr entkommen ließ, wenn er besser stand – beim Aeroflot-Open hatte er in der sechsten Runde eine klar vorteilhafte Stellung gegen Sergei Zhigalko früh remisiert und war durch eine Niederlage gegen Aleksej Aleksandrov in der Folgerunde dafür abgestraft worden. Doch in Reykjavik wurde nach Sofia-Regeln gespielt: Remisangebote vor dem 30. Zug waren verboten. Vielleicht haben Nihals langjähriger Coach GM Dimitri Komarov oder sein indischer Coach GM Naranyanan Srinath Einfluss genommen. Auffällig war: Nihal vermied in diesem Turnier erstmals seine früher oft dramatische Zeitnot.

Nihal erzielte am Ende sechs Punkte aus neun Partien, was bei einem Gegnerschnitt von 2543 einer Performance von 2668 entspricht. Nihal wird in der Ratingliste im April bei über 2550 notieren. Besonders motivierend dürfte für Nihal sein, dass Vishy Anand ihm per Twitter zu seiner Großmeister-Norm gratuliert und sich bereits in einem Video zu Nihals Talent geäußert hat.

Nihals Partien in Reykjavik

 

„Stalking-Fazit“ zu Nihal

Schachliches Stalking ist das nicht abgesprochene Beobachten eines Spielers zum Zwecke des eigenen Trainings. In Nihals Fall kommt hinzu, dass wir einen möglichen zukünftigen WM-Kandidaten bei seiner Entwicklung beobachten.

Kürzlich bin ich im Zusammenhang mit aktuellen Meldungen zu Giftgasanschlägen auf einen russischen Ex-Spion in Großbritannien auf einen Teil des Namens unseres Talents aus Indien gestoßen. Sarin ist ein chemischer G-Kampfstoff  (G steht für Germany) und wurde im Krieg in Deutschland entwickelt und hergestellt, nachdem Gerhard Schrader (1903-1990), ein Chemiker der Bayer AG, den Stoff 1938 vermutlich zufällig entdeckt hatte. Später war Schrader vor allem für seine Arbeiten zu Pestiziden bekannt.

Der Name Sarin stammt in Nihals Fall allerdings aus dem Hindi und bedeutet so viel wie „hilfsbereit“. Sarin ist ein Patronym, bezieht sich also auf den Vater, Sarin Abdulsalam; Nihals Schwester heißt Nehal Sarin. Aber indische Namensgebungen sind eine Wissenschaft für sich und sollen hier nicht unser Thema sein. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird Nihal seinen Kindern einmal das „Nihal“ mitgeben. Jetzt muss man sagen, dass Nihal, so wie wir ihn kennengelernt haben, bezüglich seines Spielstils weniger als hilfsbereiter Gegner durchgeht, sondern eher als Kampfmaschine. Aber jetzt genug mit den etwas schiefen Vergleichen. Kommen wir zur schachlichen Entwicklung von Nihal Sarin.

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Reykjavik 2018 brachte Nihal seine zweite GM-Norm. Seine erste Norm erzielte Nihal im Alter von 12 Jahren beim Fagernes Turnier im April 2017 in Norwegen: Er erzielte dort 6 aus 9 bei einem Gegnerschnitt von 2475. Nihal spielte gegen sechs Großmeister, verlor keine Partie und gewann gegen Evgeny Postny (2606). Seine erste Norm war haarscharf, seine zweite Norm hat Nihal als 13-jähriger mit Luft nach oben erzielt.

Ergebnisse gegen Großmeister

Nihal hat bisher 14 Großmeisterskalps an seinem Gürtel. Es begann im Februar 2016 mit Jean Luc Chabanon. Es folgte Eduardas Rozentalis einige Monate später. 2017 gewann Nihal gegen acht Großmeister und 2018 verzeichnet er bereits vier Siege gegen GMs. Sein bislang wertvollster Sieg aus Ratingsicht gelang Nihal in Reykjavik 2018 gegen Ahmed Adly, der zum Zeitpunkt der Partie eine Rating von 2643 hatte. Seine Siege sind gleichmäßig auf Weiß- und Schwarzpartien verteilt, wobei auffällt, dass Nihal seine ersten drei Siege gegen Großmeister mit Schwarz erzielte.

Nihals Siege gegen Großmeister

 

Nihals Performance seit London 2017

Nihal ist momentan Schachprofi. Er spielte seit den London Chess Classic bei vier Open-Turnieren und bei einer U16-Teamweltmeisterschaft mit. Insgesamt hatte er dreimal in der letzten Runde die Chance, eine GM-Norm zu erzielen. In Reykjavik hat es endlich geklappt. Seit Anfang Dezember spielte Nihal 53 Turnierpartien  und erzielte 34 Punkte (+22 = 24 -7) bei einem Gegnerschnitt von 2469. Dieses Ergebnis entspricht einer Leistung von 2564. Nihals Ergebnis gegen Großmeister in unserer Beobachtungsperiode von Dezember 2017 bis März 2018 ist noch leicht negativ und liegt bei 11 aus 23. In jeder Hinsicht ist bei Nihal eine Entwicklung nach oben zu beobachten. Das wird durch die stetige Entwicklung seiner Rating deutlich. In London spielte Nihal noch mit 2507, Anfang April 2018 kam er auf eine Zahl von 2551.

Nihals schachliche Entwicklung

Nihal hat mehrere Trainer und während eines Turniers bereitet er sich gezielt auf seine Gegner vor. Nihal spielt gelegentlich Hauptvarianten, wenn es ihm in den Kram passt. Will er nicht, dann spielt Nihal Nebenvarianten, um den Gegner frühzeitig aus seiner Komfortzone zu bringen. In London war auffällig, dass er, wie das andere indische Talent Praggnanandhaa, kurz Pragg, in jeder Partie in horrende Zeitnot kam. Das scheinen ihm seine Trainer endlich(!) abgewöhnt zu haben: In Reykjavik hatte er oft die bessere Restbedenkzeit.

Beim Betrachten von Partien von Nihal fällt seine schachliche Reife auf. Der Inder spielt Endspiele wie ein erfahrener Großmeister und drückt oft seine Gegner wie eine Zitrusfrucht aus. Eine der bemerkenswertesten Spielphasen von Nihal sind damenlose Mittelspiele mit Endspielcharakter. Besitzt Nihal zudem einen leichten strukturellen Vorteil, dann wird es eng für seine Gegner.

Natürlich ist Nihal taktisch ein Talent. Für die großen Kombinationen müssen seine Gegner mitspielen, damit diese Stärke aufscheint. Aber nicht nur die finalen Kombinationen überzeugen. Oft genügen Nihal kleine Stiche, um die Initiative zu übernehmen.

Momente

 

Schlussbetrachtung

Nihal ist ohne Zweifel der erste Kandidat für den 52. Inder, der sich den Titel eines Großmeisters sichern wird. Für Nihal wird es wichtig sein, weitere Ziele zu erreichen. So fehlt in seiner Trophäen-Sammlung ein Sieg gegen einen indischen Großmeister. Ebenfalls dürfte ein Rundenturnier mit seinen speziellen Anforderungen an die eigene Vorbereitung ein weiterer Schritt für Nihal sein. Ich hoffe, dass Nihal spätestens 2019 eine Einladung zum Tata Steel Challenger Turnier in Wijk an Zee erhält.

Bleibt Nihal mit seinem Enthusiasmus beim Schach, dann wird er vermutlich bereits bei der Olympiade 2020 für Indien antreten und einige Jahre später Anlauf auf die Kandidatenturniere nehmen. Alles andere wäre eine Überraschung.

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Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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