Damenopfer mit Boris Spassky

von Johannes Fischer
15.07.2024 – Boris Spassky, Weltmeister von 1969 bis 1972, gilt als universeller Spieler. Er hat 1.e4 und 1.d4 gespielt und fand sich in dynamisch-taktischen Stellungen ebenso gut zurecht wie in positionell-strategischen. Und er war ein gefürchteter Angriffsspieler. Kein Wunder, dass ihm im Laufe seiner Karriere ein paar hübsche Damenopfer gelungen sind. Eine kleine Auswahl. | Foto: Boris Spassky, Schacholympiade Saloniki 1984 | Foto: Gerhard Hund

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E. Geller - B. Spassky, 1964

Im ersten Beispiel überrennt Spassky den sowjetischen Spitzenspieler Efim Geller mit Schwarz. Geller (2. März 1925 – 17. November 1988) gehörte für drei Jahrzehnte, von Beginn der 1950er bis Ende der 1970er Jahre, zu den besten Spielern der Welt. Er hat im Laufe seiner Karriere eine positive Bilanz gegen Mikhail Botvinnik (+4 =6 −1), Vassily Smyslov (+11 =37 −8), Tigran Petrosian (+6 =36 −3) und Bobby Fischer (+5 =2 −3) erzielt und qualifizierte sich sechs Mal für Kandidatenturniere oder Kandidatenwettkämpfe. 1979 gewann er als 54-jähriger die sowjetische Meisterschaft, 1992 wurde er in Bad Wörishofen Seniorenweltmeister.

Geller, der promovierter Wirtschaftswissenschaftler war und vor seiner Schachkarriere leidenschaftlich gerne Basketball gespielt hat, galt als ausgezeichneter Eröffnungskenner und hervorragender Analytiker. Er war Perfektionist und seine Suche nach dem besten Zug brachte ihn in vielen Partien in Zeitnot. Aber dafür war er ein gefragter Sekundant, der mit Spielern wie Petrosian, Spassky und Karpov zusammengearbeitet hat.

Efim Geller, 1977 | Foto: Koen Suyk / AnefoDutch National Archives, The Hague, Fotocollectie Algemeen Nederlands Persbureau (ANeFo), 1945-1989

Sein Verhältnis zu Spassky war vielschichtig, sie waren Kollegen und Rivalen. So verlor Geller in den Kandidatenwettkämpfen 1965 und 1968 zwei Mal gegen Spassky, doch 1969 unterstützte er Spassky bei dessen WM-Kampf gegen Petrosian und 1972 war er Sekundant Spasskys bei dessen WM-Kampf gegen Fischer in Reykjavik.

In seinen Partien gegen Spassky hatte Geller allerdings oft Schwierigkeiten und seine Gesamtbilanz von +6−10=22 gegen Spassky fällt schlechter aus als Gellers Bilanz gegen andere Weltmeister. Dafür hatte er eine überraschende Erklärung: "Boris war immer so freundlich zu mir, als Mensch und als Spieler, dass ich in mir nie echten sportlichen Biss gefühlt habe..." (Shakhmaty v Rossii, April 1997, zitiert in: Andrew Soltis, Tal, Petrosian, Spassky and Korchnoi: A Chess Multibiography with 207 Games, McFarland 2019, S. 264.)

Von Freundlichkeit ist in der folgenden Partie jedoch nichts zu spüren.

B. Spassky - T. Petrosian, WM-Kampf 1969

1966 spielte Spassky seinen ersten WM-Kampf, aber unterlag Titelverteidiger Petrosian knapp mit 11,5:12,5. Drei Jahre später, beim zweiten WM-Kampf gegen Petrosian 1969, machte er es besser: Spassky gewann 12,5-10,5 und wurde der 10. Weltmeister der Schachgeschichte.

Tigran Petrosian, Weltmeister von 1963 bis 1969 | Foto: Harry Pot, Nationaal Archief, Den Haag, Rijksfotoarchief: Fotocollectie Algemeen Nederlands Fotopersbureau (ANEFO), Quelle: Wikipedia

In einer seiner besten Partien im zweiten Wettkampf überspielte Spassky Petrosian positionell und krönte die Partie dann mit einem hübschen Damenopfer.

Wenn man so will, war diese Partie eine Revanche für eine spektakuläre Niederlage, die Spassky drei Jahre zuvor in der zehnten Partie seines ersten WM-Kampfs gegen Petrosian erlitten hatte. In dieser berühmten Partie opferte Petrosian gleich zwei Mal die Qualität und krönte sein starkes Spiel am Ende mit einem hübschen, wenn auch nicht komplizierten Damenopfer.

B. Spassky - R. Kholmov, 1971

Doch in seiner Karriere war es meistens Spassky, der in den Genuss kam, seine Dame opfern zu können. Zum Beispiel in der folgenden Partie gegen Ratmir Kholmov, von Mitte der 1950er Jahre bis Mitte der 1970er Jahre einer der stärksten Spieler der Sowjetunion.

Ratmir Kholmov (13. Mai 1925 – 18. Februar 2006)

Aber Kholmov galt als politisch unzuverlässig, und so durfte er trotz seiner Spielstärke nur zu Turnieren in sozialistische Länder reisen, aber trotzdem war er laut Chessmetrics.com von August 1960 bis März 1961 die Nummer 8 der Welt. Doch 1971 kam er im Finale der sowjetischen Mannschaftsmeisterschaften in Rostow-am-Don gegen Spassky schrecklich unter die Räder.

Dies war nicht die einzige Partie Spasskys, in der er seine Dame auf h6 geopfert hat. Dieses Kunststück gelang ihm schon 1968 im Finale der Kandidatenwettkämpfe gegen seinen langjährigen Rivalen Viktor Kortschnoi...

...den er hier mit 35.Dh6+ Matt setzte.

Und auch gegen den jugoslawischen Großmeister Dragoljub Ciric kam Spassky beim GM-Turnier in Amsterdam 1970 mit einem Damenopfer auf h6 zum Erfolg.

Spassky krönte seinen Angriff mit 28.Dxh6! und nach 28...Sf6 29.Txf6! gab Schwarz auf.

Noch mehr Damenopfer und schwungvolle Angriffe Spasskys findet man auf der ChessBase Masterclass über Boris Spassky.

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".
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