"Schach macht mich glücklich": Ein Interview mit Boris Gelfand

von Johannes Fischer
25.04.2020 – Boris Gelfand gehört seit dreißig Jahren zu den besten Spielern der Welt und 2012 trennte ihm beim WM-Kampf gegen Vishy Anand nur ein Remis vom Titelgewinn. Gelfand ist berühmt für seine Schachleidenschaft, seine gründlichen Analysen und seine Bewunderung für Akiba Rubinstein. In einem Interview mit ChessBase verrät der Großmeister welche Faktoren es braucht, um im Schach erfolgreich zu werden und warum Schach ihn glücklich macht. | Foto: Russischer Schachverband

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Ein Interview mit Boris Gelfand

Lieber Boris, das Kandidatenturnier 2020 in Jekaterinburg wurde nach sieben Runden durch die Corona-Pandemie unterbrochen. Aber wie hat dir das Schach bis dahin gefallen? Gab es Partien, die dich besonders beeindruckt haben?

In den ersten sieben Runden haben wir tatsächlich ein paar sehr interessante Partien gesehen. Besonders bemerkenswert fand ich Ian Nepomniachtchis Sieg im Endspiel gegen Anish Giri in Runde 1 und Nepos Sieg gegen Wang Hao.

 
 

Mit Kandidatenwettkämpfen und Kandidatenturnieren kennst du dich aus. 1991 hast du dich das erste Mal für die Kandidatenwettkämpfe qualifiziert und auch 22 Jahre später, beim Kandidatenturnier in London 2013, warst du dabei. Was macht Kandidatenturniere und Wettkämpfe so besonders? Was unterscheidet sie von anderen Spitzenturnieren, bei denen es um viel Geld und Prestige geht?

Für mich waren die Kandidatenwettkämpfe immer das wichtigste Turnier im Schachkalender. Und als Jugendlicher habe ich die Bücher über die Kandidatenturnier oder Wettkämpfe 1959, 1962, 1965 und 1968 mit großem Vergnügen gelesen.

Boris Gelfand in jungen Jahren

Ich wollte mich immer für diese Turniere qualifizieren und gut in ihnen spielen, das war mir wichtiger als meine Elo-Zahl. Das hat mir in den Jahren von 1996 bis 2006 gefehlt, und das hat sich leider negativ auf mein Spiel in dieser Zeit ausgewirkt.

Der Unterschied zwischen einem Kandidatenturnier und einem gewöhnlichen Turnier besteht darin, dass nur der Sieg zählt, mit dem zweiten Platz kann man nicht zufrieden sein. "Gutes Abschneiden" zählt nicht, es geht nur um den Sieg. 

Was braucht man, um im Kandidatenturnier zu gewinnen und den Weltmeister herausfordern zu dürfen?

Eine Kombination verschiedener Faktoren: die Fähigkeit, auch unter stärkstem Druck kämpfen und Leistung bringen zu können sowie gute Vorbereitung, schachlich, körperlich und mental. Und natürlich braucht man auch ein bisschen Glück, wie fast immer.

Wie bereiten sich Spitzenspieler auf ein so wichtiges Turnier vor?

Ich habe vor diesen Wettkämpfen und Turnieren immer Trainingslager organisiert und Großmeisterkollegen eingeladen, mit Alexander Khuzman, meinem Trainer, und mir zusammenzuarbeiten.

Werfen wir einen Blick zurück. Erinnerst du dich noch, wie es war, als du dich 1991 zum ersten Mal für die Kandidatenwettkämpfe qualifiziert hast?

Ja, daran erinnere ich mich noch gut. Ich war gerade einmal 22 Jahre alt und hatte grenzenloses Selbstvertrauen. Ich hielt mich tatsächlich für einen der stärksten Spieler der Welt und empfand es als ganz natürlich, mich für die Wettkämpfe qualifiziert zu haben.

Und wie war es dann, im Kandidatenturnier 2013 zu spielen – als ehemaliger WM-Herausforderer, der den Titel nur knapp verpasst hat, musstest du gegen eine jüngere Generation von Spitzenspielern kämpfen?

Ich war sehr motiviert, das Kandidatenturnier in London zu gewinnen und ein weiteres WM-Match zu spielen. Ich kannte die anderen Spieler alle sehr gut und habe mein Bestes versucht. Das Turnier selbst war leider kein Erfolg für mich, aber in den Turnieren danach hat sich meine Vorbereitung ausgezahlt. Ich glaube, 2013 habe ich das beste Schach meiner Karriere gespielt.

 

Von 1991 bis 2013 hast du an sieben Weltmeisterzyklen teilgenommen. Was ist dir besonders gut in Erinnerung geblieben?

Ich erinnere noch viele Dinge sehr gut, aber besonders stolz bin ich auf mein Spiel im Kandidatenwettkampf gegen Vladimir Kramnik 1994 und mein Spiel beim Weltmeisterschaftsturnier 2007 in Mexiko, wo ich hinter Vishy Anand zusammen mit Kramnik Zweiter bis Dritter geworden bin. Ich war ausgezeichnet vorbereitet und habe gut gespielt. Aber leider hatte ich von 1998 bis 2007 leider kaum Einladungen zu Spitzenturnieren erhalten, und so habe ich nicht zuversichtlich genug gespielt und ein paar gute Möglichkeiten verpasst.

 
 

Wie hat sich das Schach im Laufe der letzten dreißig Jahre verändert und wie wirkt sich das auf dein Schach aus?

Viele Dinge haben sich geändert. Heute hat jeder Zugang zu großen Datenbanken und in den letzten dreißig Jahren wurden viele hochklassige Partien gespielt, die die Einschätzung vieler Stellungen verändert haben. Engines sind ein wichtiger Teil des Schachs geworden und haben dazu beigetragen, die Grenzen des Spiels zu erweitern.

Vor dreißig Jahren war es wichtig, Informationen zu bekommen. Heute werden wir damit überflutet. Es ist viel wichtiger geworden, diese Informationen zu analysieren und zu versuchen, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Aber die entscheidenden Faktoren, um Erfolg zu haben, sind die gleichen geblieben: Talent, Arbeitsethik, ein starker Charakter und der Glaube an das eigene Schachverständnis.  

Du bist ein großer Bewunderer und Fan von Akiba Rubinstein. Hast du den Einfluß von Rubinstein (oder einem anderen klassischen Spieler) in irgendeiner der Partie gesehen, die in den ersten sieben Runden des Kandidatenturniers in Jekaterinburg 2020 gespielt wurden oder ist das "moderne Schach" mittlerweile völlig modern und ganz und gar ohne Bezug zu den Klassikern des Schachs?

Es kommt nur sehr selten vor, dass man heute eine Partie sieht, in der eine Idee oder ein Manöver aus einer klassischen Partie haargenau kopiert wird. Aber die große Mehrheit der Spitzenspieler hat die Klassiker gründlich studiert und das hat ihr Schach beeinflußt. Magnus Carlsen ist das beste Beispiel. Wenn er während einer Pressekonferenz z.B auf die Partie Flohr-Goldberg aus dem Jahr 1949 verweist, dann weiß man, wie er die Dinge sieht.

Deine Bücher "Dynamic Decision Making in Chess" und "Positional Decision Making in Chess" sind 2015 und 2016 erschienen, aber gelten bereits als Klassiker der Schachliteratur. In diesen Büchern gibst du tiefe Einblicke in das Denken eines Top-Großmeisters, aber besonders fasziniert hat mich in diesen Büchern dein offenkundig grenzenloser Enthusiasmus für die Analyse von Partien und deine Liebe und deine Leidenschaft zum Schach, die praktisch auf jeder Seite des Buches zu spüren sind. Woher kommt diese Leidenschaft und wie hast du sie dir im Laufe deiner langen und erfolgreichen Karriere bewahrt?

Ich staune immer wieder den Reichtum des Schachs und ich freue mich, wenn ich meinen Tag mich Schach beginnen und meinen Tag mit Schach beenden kann. Das macht mich glücklich.

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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