Die Vorträge in der Bundesschachkunsthalle
Von André Schulz
Das gewaltige Interesse von
Publikum und Medien an dem Mensch-Maschine-Wettkampf sowie dessen spannender
Verlauf, drängte das überaus interessante Rahmenprogramm, dass der Leiter des
Forums der Bundeskunsthalle Stephan Andreae mit seinen Mitarbeitern zusammen
gestellt hatte, unverdientermaßen etwas in den Hintergrund.
Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
in Bonn
Andrang bei Kramnik gegen Deep Fritz
Stephan Andreae mit seinem Team
Das Match war eigentlich nur ein Punkt einer ganzen Veranstaltungsreihe, die dem
Künstler und Schachspieler Marcel Duchamp gewidmet war und die in Anspielung an
Lewis Carrolls Märchen- und Schachfantasie unter den Titel "Hinter den Spiegeln"
gestellt wurde.
Der Wettkampf selbst zwischen dem Schachweltmeister Vladimir Kramnik und der "Denk"-Maschine
Deep Fritz konnte nur in einem solchen kunstvollen Rahmen, wie ihn die
Bundeskunsthalle zur Verfügung stellte, in der Form zur Wirkung gekommen, wie es
schließlich Realität wurde. Ein Schachwettkampf wurde auf eine Bühne gestellt,
und dort als "bewegte Plastik", wie Stephan Andreae betonte, im Sinne Duchamps
zur Kunst erhoben.
Schach wird Kunst
"Jeder Schachspieler ist ein
Künstler", hatte Duchamp immer betont. Er selbst hatte seine Karriere als
Künstler eingestellt, um Schachspieler zu werden. Im Laufe seiner Schachkarriere
spielte er dabei gegen solche starken Spieler wie gegen Hans Müller, Edgar Colle,
Vera Menchik, Saviely Tartakower, Eugene Snosko-Borowsky, George Koltanowsky,
Geza Maroczy, Hans Kmoch, Frank Marshall und Andor Lilienthal. Duchamp pflegte
einen kombinatorischen Stil, was manchmal, aber nicht immer zum Erfolg führte.
Der ehemalige Pasolini-Schauspieler ("Das
1.Evangelium nach Matthäus")
Prof. Enrique Irazoqui,
übrigens beim ersten Wettkampf zwischen Karmnik und Deep Fritz in Bahrain dabei, hatte
als junger Mann in den Sechziger Jahren Gelegenheit, gegen Duchamp zu spielen.
Er erinnert sich: "In Cadaqués spielte Duchamp nachmittags Schach im Cafe
Melitón. Heute erinnert dort eine Tafel an den großen Künstler, oberhalb des
Stuhles angebracht, auf dem Duchamp immer zu sitzen pflegte. Eines Abends kam
Dalí, um sich den 'Meister' im Melitón anzusehen. Er zog dabei die übliche Show,
d.h. trug ein Omlett auf dem Kopf als Hut, etc.. Angesichts des Clowns zog der
'Meister' es allerdings vor, seine Partie zu unterbrechen und sofort in aller
Eile zu verschwinden. Dalí hat sich ziemlich aufgeregt."
Die Vorträge zwischen den Wettkampftagen waren so interessant, dass sie auch als
eigene Schachveranstaltung - ohne jeden Wettkampf- eine große Aufmerksamkeit
verdient gehabt hätten. Zur Eröffnung wurde nach dem ersten Wettkampftag eine
Podiumsdiskussion angeboten, bei der verschiedene Redner ihren ganz persönlichen
Zugang zum Schach skizzierten. Die Gäste warn Spezialisten aus den
unterschiedlichsten Gebieten und hatten ihren Weg zum Schach jeweils über ihr
Gebiet gefunden.
Der Moderator Karsten Schwanke
(ZDF) leitete die Diskussion, die zwischen dem Künstler Ugo Dossi, dem
Mathematiker Prof. Christian Hesse, dem Kunsthistoriker Prof. Hans Holländer,
dem Kulturwissenschaftler Prof. Ernst Strouhal und dem ChessBase-Mitbegründer
und Wissenschaftsjournalisten Frederic Friedel, der für den erkrankten
Wirtschaftswissenschaftler Prof. Robert von Weizsäcker eingesprungen war,
geführt wurde.
Prof. Hesse, Dossi, Schwanke, Prof. Holländer, Prof. Strouhal,
Friedel
Unter den Zuschauern:
Susanna Poldauf (Lasker-Gesellschaft), oben rechts: Dr. Thomas Thomsen (Chess
Collectors)
Dr. William Wirth, der kürzlich das
Jubiläum der Credit Suisse organisierte
Ugo Dossi beschäftigt sich in
seinen Arbeiten seit Jahren mit dem Thema Schach und versucht mit künstlerischen
Mitteln, das eigentlich unsichtbare Spiel und die Bewegung und Kräfte der
beteiligten Figuren sichtbar zu machen.
Ugo Dossi und Vladimir Kramnik
"Trajectories of a chess game“
von Ugo Dossi
Seine Werke sind derzeit noch
in Bonn im Rheinischen Landesmuseum unter dem Titel Schach & Schönheit
(16.11.2006 – 21.01.2007) zu sehen.
Prof. Christian Hesses Zugang
zur Schachwelt lässt sich am besten an seinem gerade erschienen Buch
Expeditionen in die Schachwelten (Christian Hesse: Expeditionen
in die Schachwelten. Chessgate Verlag, 417 Seiten, gebunden, 1. Auflage 2006.
ISBN: 3-935748-14-0) ermessen. Natürlich wird ein Mathematiker zuvorderst
über die dem Schach innewohnenden mathematischen Elemente in das Spiel
eindringen.
Der Kunsthistoriker Prof. Hans
Holländer hat sich durch eine Reihe von Schachausstellungen (Schadows
Schachclub,
Schachpartie durch Zeiten und Welten) und
Ausstellungskataloge einen hervorragenden Namen in der Schachwelt gemacht. Mit
ihm wird Schach zur Kunst -und Gesellschaftsgeschichte.
Einen ähnlichen Ansatz hat der
Wiener Kulturwissenschaftler Prof. Ernst Strouhal, der in der Schachwelt durch
eine Reihe von Schachbüchern zu Ausstellungen (Luftmenschen, zusammen mit
Michael Ehn; acht mal acht: Die Kunst des Schachspiels) und vor allem mit seinen
Arbeiten über die Kempelen-Automaten bekannt geworden ist. In Bonn stellte er
einige Nachbauten vor.
Frederic Friedel schließlich fand seinen Weg zum Schach als
Wissenschaftsjournalist und Assistent von Hoimer von Dittfurth. Eines der Themen
der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre waren immer besser werdende
Schachcomputer. Das Computerschach nahm Friedel gefangen. Mitte der Achtziger
Jahre gründete er zusammen mit Matthias Wüllenweber die Firma ChessBase.
Von diesen Experten ist keiner ein wirklich guter Schachspieler - der
eingeladene Robert von Weizsäcker hätte als Fernschachgroßmeister die
Spielerseite am besten vertreten können -, aber alle sind vom Schach fasziniert beleuchteten es aus ihren jeweiligen Blickwinkeln.
Nach dem zweiten Spieltag wurde
am folgenden Dienstag (28.11.2006) ein Doppelvortrag gehalten, den Dr. Susanna
Poldauf und Prof. Ernst Strouhal bestritten. Zunächst sprach Susanna Poldauf
über den inoffiziellen Schachweltmeister und Opernkomponisten François-André
Danican, genannt. Philidor.
Anknüpfend an die gerade zu
Ende gegangene Ausstellung "Schach und Musik" in den Räumen der Emanuel Lasker
Gesellschaft in Berlin, gab Susanna Poldauf zunächst einen Überblick über die
verschiedenen Forschungsansätze zu diesem Thema.
Dr. Susanna Poldauf
Die Musikwissenschaftlerin
stellte eine Reihe von Schach spielenden Musikern vor, darunter Sergej Prokofiew,
Robert Schumann, Arnold Schönberg (der Erfinder des "Koalitionsschach"), Marc
Taimanow oder John Cage, der mit Marcel Duchamp, dem die Vortragsreihe gewidmet
war, Schach- und Musik-Experimente durchführte. Ein Weiters Thema des Vortrages
war die Vertonung Schachpartien bzw. Schachthematiken in der Neuen Musik
bzw. im Ballett. Bezüge zwischen den gesetzten der Musik und denen des Schachs
sehen auch die Problemkomponisten die ihre Vorgehensweise mit der von Musikern
vergleichen - prominentes Beispiel Vladimir Nabokov, der das Komponieren von
Schachproblemen auf "quasimusikalische " Art betrieb.
Der eigentliche Schwerpunkt des Vortrages war jedoch das Verhältnis von Schach
und Musik bei Philidor. Auf den ersten Blick erscheinen beide Gebiete als sich
parallel entwickelnde Welten, referierte die Autorin einer Philidor-Biografie,
Felder, die sich scheinbar nicht berührten oder die Philidor bewusst nicht
miteinander vermischte, die sie sich in seiner Entwicklung nahezu gleichzeitig
und mit gleicher Intensität ausbildeten.
Dennoch gibt es bei genauerem Hinsehen ein paar Berührungspunkte, meinte die
Autorin, wie z.B. die komponierten Idealpartien in seinem Schachbuch "L'Analyze
des Échecs, die Verbindung zwischen Simultanspiel und dem Komponieren für mehr
als zwei Stimmen gleichzeitig in seinen Opern (Ensembles) sowie eine mögliche
Verbindung zwischen der Kompositionstechnik des Generalbasses in der damaligen
Musik und der Aufwertung der Bauernführung in Philidors Schachtheorie.
Begleitet wurde der Vortrag von dem aus Argentinien stammenden Schach spielenden
Musiker Juan María Solare am Flügel mit Kompositionen von Sergej Prokofiew, John
Cage, Philidor und einer Eigenkomposition. Die Theaterwissenschaftlerin Dr.
Susanna Poldauf war Regieassistentin für Musiktheater in Stralsund, Berlin und
Basel. Juan María Solare, argentinischer Komponist und Pianist, studierte bei
Johannes Fritsch, Mauricio Kagel, Hans Ulrich Humpert und Helmut Lachenmann.
Der zweite Teil des Abends wurde von Prof. Ernst Strouhal, Brigitte Felderer und
Jakob Scheid bestritten
Prof. Ernst Strouhal
Unter dem Titel
"Speaking without lips – thinking without brain", sprachen sie über die
Automaten des Ingenieurs Wolfgang von Kempelen (1734 – 1804) und zeigten einige
Nachkonstruktionen zeigten, darunter den mechanischen Arm des berühmten
Schachtürken. Weniger bekannt ist, dass Kempelen sich auch mit mechanischer
Stimmerzeugung beschäftigte und einen Vorläufer des Telefons konstruiert hatte.
Auch davon war ein Nachbau zu sehen. Die Vortragenden lehren an der Hochschule
für angewandte Kunst in Wien.
Der Nachbaus des Kempelschen Sprechapparats
Es spricht
Artur Jussupow kann den Arm bedienen, hat großartige
Schachkenntnisse, wäre aber dennoch wegen seiner Größe nicht geeignet, den Job
im Türken zu übernehmen.
Artur Jussupow übt am Arm
Fortgeschrittene Mechanik
Nach dem dritten Spieltag des
Matches zwischen Mensch und Maschine (Donnerstag, 30.11.2006) wurde ein weiterer
Doppelvortrag realisiert.
Mathias Bröckers
Der Verschwörungsspezialist
Mathias Bröckers sprach über Paranoia und Verschwörungstheorien bei
Spielergenies, wobei im Mittelpunkt seines Interesses der frühere
Schachweltmeister Bobby Fischer stand. Aber auch andere Spieler hätten sich als
Thema angeboten, wie jeder weiß, der die aktuelle Schachberichterstattung liest.
Danach legte
ChessBase-Chefentwickler und Geschäftsführer Matthias Wüllenweber dar, wie Computer
mit fast den gleichen Algorithmen die optimalen Züge einer Schachpartien, aber
auch eine "optimale" Melodie errechnen können. Umgesetzt wurde dies in einem
Musiklernprogramm.
Das Programm Ludwig wird in
Kürze erscheinen:
"Spiel mir den Tod vom Lied"
Zwei Tage später kam Prof. Hans
Holländer zum Zuge, der sich mit Schachspiel als Modell in Literatur und
Wissenschaft beschäftigte.
Danach sei das Schachspiel ist
ein vielseitig interpretierbares System von Zeichen und wurde deshalb schon
immer als Bild, Gleichnis, Metapher und Modell für viele Bereiche des
menschlichen Lebens betrachtet. Holländer stellte Beispiele vor, wie das Schach
zu Kunst, philosophischen Begriffen und Naturgesetzen in Beziehung gesetzt
wurde.
Schließlich kam ein Stück des
"Tauchtontheaters" STARTS & STOPS zur Aufführung. Titel:
Unter Taucher König Ass: Unter den Wasserspiegeln oder die Schönheit des tiefen
Tauchens.
Geschrieben hat es Wolfgang
Krause Zwieback, der von Gundolf Nandico auf dem Alphorn begleitet wurde.
Wolfgang Krause Zwieback sieht sich als Dadas Enke und hat hier "einen erneuten,
vermutlich fehlschlagenden Versuch unternommen, Struktur in die Welt zu
bringen."
Den Abschluss der Reihe übernahm Professor Herbert Molderings. Der wahrscheinlich
interessanteste Analytiker des Werkes von Marcel Duchamp beschreibt Duchamps
Kunst in seinem Buch über den Künstler und Schachspieler als "pataphysisches"
Experiment.
Im zweiten Teil des Abendsanalysierte Dr. Helmut Pfleger die bis
dato gespielten fünf Partien Kramniks gegen Deep Fritz, ...
Dr. Helmut Pfleger und Juan María Solare
...während Juan María Solare
die Partien auf dem Klavier nach der Partitur des Schachwalzers von Wilhelm Zobl
(1982) vertonte.
Duchamp hätte das alles sehr gefallen...
Fotos:
André Schulz (Podiumsdiskussion)
simple images Wien (Poldauf, Strouhal)
Harry Schaack (Strouhal)
HAEL YXXS (Zwieback)