Chess.com beantragt Abweisung der Niemann-Klage

von André Schulz
06.12.2022 – Die Plattform Chess.com hat zusammen mit Magnus Carlsen auf die Verleumdungsklage von Hans Niemann reagiert und beim Eastern Missouri District Court formell beantragt, die Verleumdungsklage von Hans Niemann abzuweisen. Laut Chess.com handele es sich bei Niemann Klage um nichts anderes als einen PR-Gag. | Foto: Pixabay

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Mit der Corona-Pandemie wurde das Schach im Internet beflügelt. Neben den freien Partien gab es auch immer mehr offizielle Turniere mit Titeln und Turniere, bei denen es Geld zu gewinnen gab. Seit man Schach im Internet spielen kann, gibt es dort aber auch Betrüger, die versuchen, mit unlauteren Mitteln ihre Partien zu gewinnen. Die Plattformen führen einen ewigen Kampf gegen diesen Betrug, der etwas verharmlosend als "cheating" bezeichnet wird. Die Auseinandersetzungen mit den betreffenden Spielern läuft zumeist hinter den Kulissen ab, denn zu viel negatives Geräusch wirft kein gutes Licht auf die betreffenden Veranstaltungen, die in ihrem Ergebnis durch erwischte Cheater entwertet werden.

Die größte Plattform Chess.com löscht jeden Monat viele Tausend Accounts von Spielern, die beim freien Spiel gecheated haben. Chess.com geht bei der Überprüfung der beobachteten Partien mit statistischen Methoden vor. Letztlich wird die Übereinstimmung mit Computerzügen überprüft.

Besonders heikel wird die Situation, wenn die Spieler, die des Cheatings verdächtigt werden, prominente Namen haben und Großmeister sind. Das kommt bei Turnieren vor, bei denen es Preisgelder oder Titel zu gewinnen gibt. Chess.com ist sich seiner Überprüfungsmethoden so sicher, dass sie auch gegen diese Spieler vorgehen. Sie sperren den Account, ermöglichen dem Spieler aber eine Bewährung. Er darf wieder antreten, wenn er den Betrug zugibt und sich von nun an korrekt verhält. Der junge US-Großmeister Hans Niemann ist einer dieser Spieler, die nur noch unter Bewährung auf Chess.com spielen durften. 

Nun gibt es Betrugsfälle nicht nur im Internet, sondern auch bei Turnieren am Brett. Die Schachprogramme wurden immer besser und die Geräte, auf denen man sie ausführen kann, immer kleiner. Heute können Handy-Programm locker bei hochklassigen Turnieren mithalten. Die ersten Computer-Betrügereien gab es schon vor über 20 Jahren und danach wurden immer mal wieder Spielern erwischt, auch starke Großmeister, die mit Computerhilfe auf Turnieren betrogen haben. Viele wurden vermutlich aber auch nicht erwischt. Computercheating ist das Doping des Schachs.

Im Laufe der Jahre wurde auch die Übermittlungselektronik immer unauffälliger und auch immer kleiner. Nachdem das Problem von der FIDE und den Organisatoren erkannt wurde, versucht man, dem Problem durch Sicherheitsmaßnahmen Herr zu werden. Bei hochrangingen Turnieren müssen die Spieler ihre Mobilgeräte, auch Smartwatches und sogar Schreibstifte abgeben und werden bei einigen Turnieren auf Elektronik gescannt. Ob das ausreicht? In der Szene herrscht inzwischen große Unsicherheit.  

Das Cheating-Problem erhielt riesige mediale Aufmerksamkeit, als Magnus Carlsen am 6. September aus dem Sinquefield Cup ausstieg, nachdem er tags zuvor gegen Hans Niemann verloren hatte. Carlsen ist ein fairer Sportsmann und so etwas ist zuvor noch nie vorgekommen, egal wie schlecht Carlsen gespielt hat. In einer Erklärung deutete Carlsen an, dass er glaubte, Niemann habe gecheatet, ohne dies jedoch klar auszusprechen. 

Beim Online-Turnier Julius Bär Generation Cup legte Carlsen nach. Am 19. September gab er seine Partie gegen Hans Niemann nach einem Zug auf. Ein paar Tage später gab Carlsen eine allgemeine Erklärung ab und verwies auf vergangene Cheating-Fälle von Niemann auf der Chess.com- Plattform. Außerdem erwähnte er eine Reihe von ungewöhnlichen Verhaltensweisen bei Hans Niemann, der laut Carlsen seine Partien ohne jede Anstrengung und Anspannung spiele. 

Die Plattform Chess.com veröffentlichte am 5. Oktober eine lange Erklärung, in der sie die von ihr nachgewiesenen und von Niemann zugebenen Cheating-Fälle auflistete - über 100 Partien - und mit Statistiken auf die sehr ungewöhnliche Entwicklung von Hans Niemann hinwies, der bei seinen Elozahlen einen ungewöhnlich steilen Aufstieg verzeichnet hatte. 

Zu den Spielern, die öffentlich eindeutig gegen Hans Niemann Stellung bezogen hatten, gehörte Hikaru Nakamura, der in seinen Videostreams bei Niemanns Verteidigungsversuchen in Videointerviews in Lachanfälle ausbrach und die angegebenen Varianten widerlegte.

Am 20. Oktober gab Hans Niemann bekannt, dass er Magnus Carlsen, die Play Magnus Group, den Chess.com-CEO Daniel Rensch, die Firma Chess.com und Hikaru Nakamura auf je 100 Mio. Dollar wegen Verleumdung, Rufschädigung und gemeinschaftliche Verschwörung verklagt.

Niemanns Anwälte argumentieren unter anderem, dass Chess.com, Magnus Carlsen und die mit ihm verbundene Play Magnus Group gemeinsame geschäftliche Interessen hätten, das Chess.com ein Übernahmeangebot der Play Magnus Aktien in Höhe von 81 Mio USD abgegeben hatte (das inzwischen von den notwendigen 90% der PMG-Aktionäre angenommen wurde.)

Nun hat Chess.com zusammen mit Magnus Carlsen auf Niemanns Klage reagiert und am 2. Dezember gemeinsam beim Eastern Missouri District Court formell beantragt, die Verleumdungsklage von Hans Niemann abzuweisen. Die Anwälte der Beklagten argumentieren, dass Niemanns Klage nichts weiter als ein PR-Gag wäre. 

Gemäß den Ausführungen der Chess.com-Anwälte sind alle Anschuldigungen von Hans Niemann unbegründet. Niemann hatte in seiner Klage behauptet, dass die Beklagten gegen ihn als Kartell vorgegangen seine (Kartellklage nach dem Sherman Act), was seine Möglichkeiten, Einladungen zu erhalten und mit Schachturnieren seinen Lebensunterhalt zu verdienen, eingeschränkt hätte. Dies könne Niemann nicht nachweisen. Absprachen zwischen den Beklagten habe es nicht gegeben.

Auch der Vorwurf der Verleumdung träfe nicht zu, da die Beklagten von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hätten, (Anti-SLAPP Gesetz des Bundesstaats Connecticuts, wo Niemann seinen Wohnsitz hat). Unter Berufung auf die Klage "Fuqua Homes, Inc. gegen Beattie (2004)" argumentiert Chess.com, dass sich Connecticut an das Urteil dieses Verfahrens halten muss. Auch nach den Gesetzten des Staates Missouri sei Niemanns Klage unbegründet, da es für eine Verleumdungsklage notwendig sei, dass die Beklagten wissentlich ihre falsche Behauptungen äußerten. Bei Personen des öffentlichen Lebens müssten die Behauptungen auch noch eine böswillige Absicht haben, um als Verleumdung klagefähig zu sein. Chess.com argumentiert, dass die getroffenen Behauptungen weder objektiv falsch, noch bösartig waren.

Auch die übrigen Argumente in Niemanns Klageschrift wurden von Chess.com im Antrag auf Abweisung der Klage entkräftet. Niemanns Anwälte haben nun Zeit für eine Erklärung. Bei Widerspruch wird über die Zulassung der Klage mündlich verhandelt. 


Meldung bei Chess.com...

Hier ist der Antrag im Original... 

NY Times: He’s the Bad Boy of Chess. But Did He Cheat?...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.