Drei Talente auf dem Weg zur Weltspitze
Die jahrgangsbesten angehenden Weltklassespieler der Jahrgänge 2003, 2004 und 2005 sind Alireza Firouzja, Nihal Sarin und Praggnanandhaa Rameshbabu. Ein Vergleich der Entwicklung.
Seit Dezember 2017 begann ich mit der Beobachtung einiger der erfolgversprechendsten Talente als schachliches „Stalking-Projekt“, um deren Stärken, Schwächen und Verbesserungspotentiale herauszufinden. Es begann mit Nihal Sarin, der in London mitspielte und damals eine Rating knapp über 2500 aufwies.
Hinzu kam Pragg ab Januar 2018 der zu diesem Zeitpunkt noch mit der Jagd auf den Rekord von Sergey Karjakin als jüngster Großmeister aller Zeiten beschäftigt war.
Die beiden indischen Top-Talente spielten dann erneut bei dem stärksten Open der Welt, dem Aeroflot Open in Moskau, mit und schlugen sich beachtlich.
Es folgte eine weitere Betrachtung der indischen Top-Talentet im April 2018. Nihal erhielt dann seinen Großmeistertitel im Rahmen des Fide-Kongresses in Batumi 2018.
Praggnanandhaa Rameshbabu, der praktischerweise kurz „Pragg“ oder „Praggu“ genannt wird, erhielt seines Großmeistertitel während einer Präsidiumssitzung des FIDE-Vorstands im Juli 2018 verliehen. Am Rekord war er knapp gescheitert und erzielte sein definitive Norm in einem Rundenturnier in Griechenland kurz darauf.
Als weiteres Beobachtungssubjekt kam im Juni 2018 der Iraner Alireza Firouzja hinzu. Dieser hatte im April 2018 bereits den Titel eines Großmeisters erhalten.
Wer die Entwicklung dieses Talentes am einfachsten nachvollziehen will, der kann sich am besten auf der englischen Seite von Wikipedia informieren.
Vergleich der Eloentwicklung
Der Vergleich der Eloentwicklung ist nicht ganz leicht. Es gibt viele Daten. Trotzdem ist ganz interessant, die unterschiedliche Entwicklung einmal auf einen Blick zu sehen.
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Alireza benötigte zwei Jahre, um sich von 2500 auf 2700 zu verbessern. So schnell schaffte das bisher nur ein gewisser Wei Yi. Fabiano Caruana und Magnus Carlsen benötigten für die gleiche Ratingentwicklung in allerdings noch anderen Zeiten (Ratinglisten kamen nicht monatlich heraus) etwas mehr als drei Jahre. Das könnte ein Indiz für ein späteres dauerhaftes Etablieren in der absoluten Weltspitze (zurzeit etwa ab 2750 und über eine längere Periode hinweg) sein.
Auffällig ist ebenfalls, dass die Entwicklung von Pragg etwas stagnierte und es bei Nihal einen stetigen, aber weniger sensationell verlaufenden Anstieg verzeichnet. Er hat seit seinem Aufstieg über 2500 noch in keiner Folgeliste Rating verloren.
Alireza – der Superstar bisher
Zuletzt hatte der Iraner bei der türkischen Mannschaftsmeisterschaft die Schallmauer von 2700 genommen und damit eine neue Erfolgsmarke gesetzt.
Bei Teenagern kann ein Jahr einen ganz erheblichen Unterschied machen. Die eigentliche Explosion ist noch frisch: Alireza hatte in der Januarliste 2019 noch eine Rating von 2618. Seither hat er einige bemerkenswerte Ergebnisse erzielt und seine Rating auf 2702 geschraubt: Er gewann die iranische Meisterschaft im Januar mit 9 aus 11, gewann ein Open in Teheran mit 7,5 aus 9 und lief beim Fair-Cup Masters mit 5,5 aus 7 als Erster durchs Ziel. Sein Score nur gegen Großmeisterkollegen lag in den ersten beiden Monaten 2019 bei sensationellen 11,5 aus 14.
Es folgte das Aeroflot-A-Open mit 5 aus 9 und die Fide-Team-Weltmeisterschaft mit 7 aus 9, wobei sich Alireza am vierten Brett (7 aus 9) nur einem anderen Überflieger des Jahres, Vladislav Artemiev, geschlagen geben musste. Es folgten drei weitere Open mit 7 aus 9 (Sharjah), Reykjavik (7 aus 9) und Grenke mit 7 aus 8 bei einer kampflosen Niederlage. Es folgte zusammen mit Pragg und Nihal die Asienmeisterschaft, die Alireza mit 6 aus 9 beendete. Nihal wurde übrigens bei der asiatischen Blitzmeisterschaft Erster vor Alireza. Bei der türkischen Mannschaftsmeisterschaft folgte ein Ergebnis von 11,5 aus 13 Partien am dritten Brett. Nihal spielte übrigens für sein Team an Brett 1. Der Score von Alireza gegen andere Großmeister liegt 2019 bei 38,5 aus 53 Partien, also bei 72,6 Prozent.
Die drei Talente im Vergleich
Alireza setzt seine Gegner gerne von der Eröffnung an unter erheblichen Druck. Sein Spielstil ist aktiv und für Zuschauer extrem unterhaltsam und aktiv. Es gelingt ihm immer wieder, schlechtere Stellungen in ganze Punkte zu verwandeln. Es scheint beinahe so, dass dies eine Auswirkung der iranischen Schachschule oder Mentalität ist. Zwei weitere Beispiele für einen attraktiven Spielstil sind die beiden anderen iranischen Talente Parham Maghsoodloo (Jahrgang 2000) und Mohammad Amin Tabatabaei (Jahrgang 2001). Alireza hat zudem sein Eröffnungsrepertoire erkennbar erweitert mit Weiß spielt er inzwischen nicht mehr exklusiv den Königsbauern im ersten Zug und zu seinem Najdorf-Sizilianer ist der klassische Sizilianer gekommen.
Nihal und Pragg haben deutlich höhere Remisquoten, was teilweise auch ihrem Spielstil, der schon früh sehr adult, oder anders formuliert: technisch orientiert, zu nennen ist. Nihal verliert kaum, gewinnt aber auch seltener. Bei Pragg wirkte sich bisher aus, dass er selten auf Eröffnungsvorteil aus ist. Interessanterweise konnte der jüngste Inder bisher die meisten Skalps von Gegnern über 2700 an seinen Gürtel hängen.
Alirezas weitere Entwicklung könnte durch seine Herkunft aus dem Iran und die politischen Beziehungen zu Israel und den USA behindert werden. Das Dilemma iranischer Spieler beschreibt ein Artikel der Neuen Züricher Zeitung am Beispiel von Parham Maghsoodloo.
Ein wenig glanzvolles Kapitel war die kampflose Niederlage von Alireza beim Grenke-Open diesen Jahres gegen einen israelischen Spieler. Es folgte zudem eine absurde Niederlage von Alireza gegen eine deutsche Nachwuchsspielerin, die schachlich nicht zu erklären war. Alireza verlor einen Turm in besserer Stellung. Ob diese beiden Ereignisse zusammenhingen, ist unklar. Es bleibt zu hoffen, dass sich der junge, inzwischen 16-jährige Iraner weiter auf sein Spiel konzentrieren kann. Parham und Alireza nahmen bei chess.com an einem Juniorenwettbewerb teil und zwar trotz der US-Sanktionen gegen den Iran. Dort meinte Alireza übrigens nach einem Wettkampf, dass die 2700, die er zu dem Zeitpunkt noch nicht überschritten hatte, nicht das Ziel seien. Aus Trainerkreisen hört man, dass es Gerüchte gibt, Alireza würde gelegentlich mit einem seiner Vorgänger als Schachweltmeister, einem Norweger, trainieren.
Nihal und Alireza spielen im September beim World-Cup mit und starten somit erstmals einen Angriff auf den Weltmeistertitel.
Zu den Partiebeispielen:
Alireza geht gelegentlich in seinen Partien höhere Risiken als andere Talente, wie Pragg, Nihal oder beispielsweise Vincent Keymer. Das führt nicht nur zu mehr entschiedenen Partien, sondern es hilft dem Iraner gute Straßenkämpferqualitäten zur entwickeln. In der ersten Partie steht Alireza in der Diagrammstellung auf Verlust, schafft es aber, seinem Gegner Aufgaben zu stellen, die dieser nicht lösen kann.
Die zweite Partie gegen den Inder Chithambaram Aravindh, den Asienmeister von 2018, ist die Ausgangsstellung noch etwa ausgeglichen. Alireza findet zunächst einen hervorragenden Königszug und nutzt später die ungenaue Verteidigung seines Gegners.
In der dritten Diagrammstellung muss Alireza bereits die Dame opfern, um zu überleben. Mit etwas Glück und Mut gelingt es ihm den, doch noch den halben Punkt zu sichern.
Die vierte Partie illustriert eine der wenigen Schwächen des Iraners, der immer nach taktischen Lösungen Ausschau hält. Alireza kann seine Gewinnstellung nicht nur nicht verwerten, sondern verliert sogar noch.
Gegen Jonathan Speelman, selbst ein kreativer Kopf, spielte Alireza einen überzeugenden Sieg heraus und zeigt einen überzeugenden Königsmarsch in die gegnerische Stellung hinein.
Es folgt ein Erstrundensieg aus Reykjavik gegen einen deutschen Gegner. Alireza lässt sich in der Regel gerne auf ein Theorieduell ein. Der Deutsche spielt mit Ld7 einen passiven Zug und wird in bester Angriffsspielweise von seinem Gegner dafür bestraft. Ein Musterbeispiel für einen gelungenen Königsangriff.
In seiner Partie gegen Praggnanandhaa bei der diesjährigen Asienmeisterschaft übernimmt zunächst der Inder das Kommendo und es entwickelt sich ein hochklassiges und sehenswertes Duell. Aber selbst ein begnadeter Taktiker wie Alireza findet nicht den entscheidenden Dreh zum Königsangriff.
In der letzten Partie gegen einen weiteren talentierten Inder, der in diesem Jahr bereits in Gibraltar groß aufgespielt hat, gerät Alireza unter die Räder. Sein Gegner erwischt einen echten Sahnetag, um Alireza zumindest an dem Tag seine Grenzen aufzuzeigen.