Vor 45 Jahren Bobby Fischer in Island (13)

von Frederic Friedel
29.09.2017 – In der ersten Hälfte des Weltmeisterschaftskampfs zwischen Herausforderer Bobby Fischer und Weltmeister Boris Spassky in Reykjavik 1972 dominierte Fischer, in der zweiten Hälfte erwies sich Spassky als ebenbürtig. Aber eine Partie konnte Spassky nicht gewinnen. Doch nach sieben Remispartien in Folge gewann Fischer schließlich die 21. und letzte Partie des Wettkampfs und wurde neuer Weltmeister.

Master Class Band 1: Bobby Fischer Master Class Band 1: Bobby Fischer

Kein anderer Weltmeister erreichte auch über die Schachwelt hinaus eine derartige Bekanntheit wie Bobby Fischer. Auf dieser DVD führt Ihnen ein Expertenteam die Facetten der Schachlegende vor und zeigt Ihnen u.a die Gewinntechniken des 11.Weltmeisters

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Fischer triumphiert in letzter Partie

Nach 20 Partien stand es beim Weltmeisterschaftskampf Fischer gegen Spassky in Reykjavik 11,5-8,5 für Herausforderer Fischer und damit brauchte Fischer nur noch einen Sieg, um neuer Weltmeister zu werden. Den erzielte Fischer in der 21. und letzten Partie des Wettkampfs.

In der Chess Life & Review Ausgabe vom Januar 1973, S. 20, schreib Robert Byrne über die 21. Partie:

Eine der wichtigsten Eröffnungsneuerungen, die Fischer im Wettkampf gezeigt hat, kam in dieser Partie in einer Variante des Sizilianers, für die er bis dahin keinerlei Zuneigung gezeigt hatte. Mit der Neuerung kassierte er eine der wichtigsten Angriffsmöglichkeiten für Weiß und kam mit Schwarz zu einem kleinen, aber klaren Vorteil.

Aber als Bobby schon kurz vor dem Sieg zu stehen schien, brachte Boris ein gut kalkuliertes Qualitätsopfer, das eigentlich fast alle Fragen, ob die Partie remis ausgehen wird, hätte beantworten sollen. Leider patzte er danach schrecklich und brachte sich um die Früchte seiner unerschrockenen Verteidigung und musste eine Niederlage quittieren. Spasskys telefonische Aufgabe der Hängepartie enttäuschte die Fans, die Endspieltechnik sehen wollten, die der alte und neue Weltmeister für selbstverständlich hielten. Bei der Abschlussfeier analysierte Fischer immer noch die Varianten, die nach Spasskys Abgabezug 41.Ld7 hätten entstehen können, und zeigte dabei eine Reihe von Fallen, auf die Weiß noch hätte spielen können. So endete der "Wettkampf des Jahrhunderts".

Hier sind Robert Byrnes Anmerkungen zur 21. Partie. (Aus Chess Life & Review, Januar 1973, S.20-21:

[Event "Reykjavik World Championship (21)"] [Site "Reykjavik"] [Date "1972.08.31"] [Round "21"] [White "Spassky, Boris Vasilievich"] [Black "Fischer, Robert James"] [Result "0-1"] [ECO "B46"] [WhiteElo "2660"] [BlackElo "2785"] [Annotator "Byrne,Robert"] [PlyCount "81"] [EventDate "1972.07.11"] [EventType "match"] [EventRounds "21"] [EventCountry "ISL"] [SourceTitle "MainBase"] [Source "ChessBase"] [SourceDate "1999.07.01"] 1. e4 c5 {Was Fischer going to justify the "poisoned pawn" variation at this late stage of the match? No, he wasn't, but the move put the spectators on tenterhook.} 2. Nf3 e6 {Bobby has defeated this line of the Sicilian so often, it's a wonder he could bring himself to try the Black side of it. But he knows what Boris likes against it and is all prepared.} 3. d4 cxd4 4. Nxd4 a6 5. Nc3 ({Fischer's favorite has been} 5. Bd3 {which after} Nc6 6. Nxc6 bxc6 {leaves the way open for} 7. c4 {which Petrosian played against him in game 7 of the Buenos Aires match. Had Bobby no fear that Boris would use his own weapon against him? Perhaps he intended to take the game into entirely different channels by 5...d6 and ...Nd7.}) 5... Nc6 6. Be3 Nf6 7. Bd3 d5 8. exd5 exd5 $1 {Here is the novelty. This recapture with the Pawn is excellent, since the White minor pieces are bunched ineffectively to work on the isolated pawn.} ({ The previously tried} 8... Nxd5 {leads to the inferior game after} 9. Nxc6 bxc6 10. Bd4) 9. O-O Bd6 10. Nxc6 $2 ({Some way of avoiding this strengthening of the Black center had to be sought; either} 10. Be2) ({or} 10. Bf5 {to simplify might have been tried,}) ({but not} 10. h3 {because that leaves White open for a later ...Bc7 and ...Qd6.}) 10... bxc6 11. Bd4 O-O 12. Qf3 Be6 ({As ever, Fischer prefers the solid, clear continuation to the obscurity arising from} 12... Ng4 $6 13. h3 Qh4 ({not} 13... Nh6 $2 14. Qh5) 14. Rfe1 c5 $6 15. Nxd5 $1 {when the complications are in White's favor.}) 13. Rfe1 c5 14. Bxf6 Qxf6 15. Qxf6 gxf6 {Black's two Bishops and half-open b-file give him a clear advantage in this ending, which might have arisen from a Scotch Opening.} 16. Rad1 Rfd8 17. Be2 Rab8 ({Had Bobby realized what Spassky was up to, he might have chosen } 17... Be5 {for} 18. Bf3 Bxc3 19. bxc3 Rab8 20. Rb1 d4 $1 {is strong for Black.}) 18. b3 c4 $1 19. Nxd5 $1 {The Exchange sacrifice saves day!} ({ The situation looked desperate for White, since} 19. -- Bb4 {threatens,}) ({and } 19. Na4 {loses to} Bf5 $1) 19... Bxd5 20. Rxd5 Bxh2+ 21. Kxh2 Rxd5 22. Bxc4 Rd2 23. Bxa6 (23. Bd3 {does not trap the Rook as some excited onlookers thought–} Rxf2 24. Kg3 Rd2 25. Kf3 a5 26. Rg1 Re8 {does not permit White to approach it.}) 23... Rxc2 24. Re2 Rxe2 25. Bxe2 {Spassky's strong connected passed pawns and Fischer's weak Kingside pawns guarantee that this ending is a draw.} Rd8 26. a4 $1 Rd2 27. Bc4 Ra2 $1 (27... Rxf2 $2 {throws away any hopes Black might have, for White forces a Queen after} 28. a5 Ra2 29. a6 Kf8 30. b4 Ra4 ({Nor can Black hold the pawns by} 30... Ra1 31. b5 Ke7 32. b6 Kd7 33. a7 Kc6 34. Bd5+ $1 Kxd5 35. b7) 31. b5 Rxc4 32. a7) 28. Kg3 Kf8 29. Kf3 Ke7 30. g4 $4 {It can only be "match fatigue" that leads Spassky to such a blunder as this, giving Fischer the first chance he has had to create a passed pawn.} ({ After} 30. Kg3 {and} -- 31. f4 {Black could forget about winning.}) 30... f5 $1 31. gxf5 (31. g5 f6 {gets the passed pawn anyway.}) 31... f6 32. Bg8 h6 33. Kg3 Kd6 34. Kf3 $4 {Spassky plays now like a man dazed:} (34. f4 {preventing the strong invasion of the Black King, would still draw.}) 34... Ra1 35. Kg2 Ke5 36. Be6 Kf4 37. Bd7 Rb1 38. Be6 Rb2 39. Bc4 Ra2 40. Be6 h5 {[#]} 41. Bd7 ({ The game was adjourned at this point, Spassky having sealed} 41. Bd7 {but it was not resumed for Boris resigned. Black wins by} Kg4 42. b4 ({If} 42. Bc6 { then} h4 43. Bf3+ Kxf5 44. Bd5 Kg4 45. Bf3+ Kf4 46. Bd5 Rb2 47. Bc4 Kg4 {wins.} ) 42... h4 43. a5 h3+ 44. Kg1 Ra1+ 45. Kh2 Rf1 46. a6 Rxf2+ 47. Kg1 Kg3 48. Bb5 h2+ 49. Kh1 Rg2 {and mate next move.}) ({Even the best defense,} 41. Kh3 { (instead of 41.Bd7) would not hold the game:} Rxf2 42. a5 h4 $1 43. a6 Kg5 44. b4 ({Or} 44. Bd5 Ra2 45. Bb7 Ra3 46. Kg2 Kxf5 47. b4 Kg4 48. b5 h3+ 49. Kf2 h2 {and wins:} 50. b6 Rxa6) 44... Rf3+ 45. Kg2 Kg4 46. b5 h3+ 47. Kg1 Kg3 { and mates as in the previous line.}) 0-1

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Das Buch Bobby Fischer Goes to War von David Edmonds and John Eidinow, Harper Collins 2004, schildert das Ende des Wettkampfs:

Der Partieabbruch kam im 41. Zug. Spassky schien erschöpft zu sein. Er investierte nur sechs Minuten Bedenkzeit in seinen letzten Zug, der dann niedergeschrieben und Schmid überreicht wurde, der den Hängepartieumschlag dann sorgfältig versiegelte. Fischer unterschrieb auf der Klappe des Umschlags, eine Standardsicherheitsmaßnahme. Danach konnte sich das Publikum entspannen und reden, und während sie von ihren Sitzen aufstanden, drehte sich die Unterhaltung darum, wer positionell im Vorteil war. Die meisten Amateure hätten die Aussichten für beide Seiten als ungefähr ausgeglichen beurteilt. Aber die Experten erkannten, dass Spasskys Kampf, den Titel zu verteidigen, vorbei war; seine beherzte Gegenwehr war vorbei und die Großmeister sagten einen Sieg für Fischer voraus. In Moskau akzeptierte man bereits, dass ihr Mann verloren hatte: der Weltmeister hatte Geller gesagt, dass es keinen Sinn hätte, sich mit der Analyse abzugeben. Spassky wusste, dass er nicht den besten Zug abgegeben hatte.

Am Tag darauf waren 2.500 Menschen im Publikum, von denen einige früh gekommen waren, um sich einen guten Platz zu sichern, und die in Erwartung eines spannenden Endes alle $5 gezahlt hatten. Fischer kam spät und wirkte zuversichtlich, aber war für jemanden, der normalerweise sorgfältig darauf achtete, tadellos auszusehen, mit einem hastig ausgesuchten und noch nicht gebügelten blutroten Anzug überraschend gekleidet. Zur Abwechslung war es Spasskys Sessel, der leer war.

Zwei Stunden zuvor, um 12.50, hatte der Weltmeister Schiedsrichter Lothar Schmid angerufen. Er teilte Schmid seine Partieaufgabe offiziell mit; er würde zur Wiederaufnahme der Hängepartie nicht erscheinen. Schmid musste Euwe anrufen: Können wir eine Aufgabe per Telefon akzeptieren? Euwe entschied, dass dies zulässig war. Fischer war nicht informiert und hätte es vielleicht erst später erfahren, hätte Harry Benson, der Fotograf der Zeitschrift Life, Spassky nicht zufällig Spassky beim Saga-Hotel getroffen, als der nun Ex-Weltmeister sich anschickte, einen Spaziergang zu machen. Eine Flut von Telefonanrufen folgte. Benson rief Fischer, der Schmid anrief und darauf bestand, dass die Aufgabe der Partie, falls dies wahr wäre, schriftlich bestätigt werden müsste. Schmid schrieb selbst etwas nieder, aber erklärte, dass Fischer dennoch zur festgelegten Zeit zur Wiederaufnahme der Hängepartie erscheinen müsste.

Der Wettkampf war vorbei.

Wir übergeben an Brad Darrach, Journalist und Filmkritiker, der eines der einflussreichsten Bücher über Bobby Fischer geschrieben hat. Im dem 1974 erschienenen Buch schildert Darrach die letzten Stunden des Wettkampfs in großer Ausführlichkeit:

Freitag, den 1.September, um drei Uhr morgens, lag Spassky im Bett und starrte in die graue Dämmerung des Nordens. In der 21. Partie hatte ihn Bobby in der Eröffnung genarrt und verärgert hatte Spassky einen Zug abgegeben, nach dem seine Remischancen kleiner waren als Bobby Gewinnchancen. Eine unvorsichtige Geste der Stärke hatte ihm die letzte Hoffnung genommen, Bobbys Triumph nicht ganz so glänzend aussehen zu lassen und Zweifel in Bobby zu säen. Jetzt konnte er nur noch mit wehenden Fahnen untergehen. Aber dennoch ...wollte er diesem arroganten Bobby wirklich erlauben, ihn unter dem Applaus von Tausenden auf der Bühne zu skalpieren? Spassky kam zu dem Schluss, dass er für sich selbst und für sein Land für einen besser inszenierten Abgang sorgen müsste.

Um 13 Uhr kam Harry Benson zum Saga. Zu seiner Verblüffung sah er Spassky, dicht gefolgt von Krogius, aus dem Fahrstuhl kommen. Als Spassky Benson sah, zeigte sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht und informierte ihn beiläufig von der Sensation des Sommers.

"Hello, Hahrry! Es gibt einen neuen Weltmeister! Ich habe gerade aufgegeben."

Benson schaute entgeistert. "Es tut mir Leid, das zu hören, Boris."

"Das muss Dir nicht Leid tun," meinte Spassky. "Das ist Sport und" — achselzuckend — "ich habe verloren. Bobby ist der neue Weltmeister. So! Jetzt muss ich einen Spaziergang machen." Und er eilte davon.

Benson rief Bobby an. "Glückwunsch! Du bist Weltmeister."

"Jaah?" Bobby war erfreut, aber misstrauisch. "Woher weißt Du das?"

"Spassky hat aufgegeben. Er hat es mir selbst gesagt."

"Sicher?"

Als Lombardy ankam, war Bobby immer noch über das Brett gebeugt und analysierte mit funkelnden Augen die Abbruchstellung. "Woher weiß ich, dass das nicht ein Trick ist, der mich dazu bringen soll, mit der Arbeit aufzuhören, damit er gewinnt? Sag Schmid, ich will schriftlich haben, dass Spassky aufgegeben hat!"

Um 14.25 war Schmid außer sich. Fast eine halbe Stunde nach Wiederaufnahme der Partie war Fischer noch nicht erschienen, um seinen Sieg zu quittieren. Schmid hatte sich geweigert, Spassky auf der Bühne erscheinen zu lassen und das Wort "Aufgegeben" auf sein Partieformular zu schreiben — wollte sich Bobby rächen?

14.30 platzte Bobby auf die Bühne und sah missmutig-schüchtern aus. "Meine Damen und Herren," verkündete Schmid erleichtert, "Mr. Spassky hat telefonisch um 12.50 aufgegeben." Lauter Applaus. Bobby zuckte und schaute kurz von dem Partieformular auf, das er unterzeichnete. "Mr. Fischer," fuhr Schmid fort, "hat diese Partie gewonnen . . . und er ist damit der Sieger des Wettkampfs."

Donnernde Ovation. Bobby machte ein finsteres Gesicht, so als ob sich wünschen würde, alle sollten verschwinden. Die Ovation wurde schwächer und stieg dann zu rhythmischem Klatschen und Trampeln an. Hastig, als hätte er Angst, all diese Leute wären hinter ihm her, verschwand Fischer hinter dem Vorhang und war nicht mehr zu sehen. Der Applaus wich Ausrufen ungläubigen Erstaunens. "Soll das heißen," fragte ein amerikanischer Besucher, "das ist jetzt das Ende?"

Und so begann sie, die Herrschaft von König Bobby.

Hauptschiedsrichter Lothar Schmid gratuliert Bobby Fischer zum Gewinn der Weltmeisterschaft (Foto: J. Water Green/Associated Press)

In dem Buch Garry Kasparov On My Great Predecessors, Part 4 schreibt der 13. Schachweltmeister:

My Great Predecessors IVRobert James Fischer hatte das Match vorzeitig mit 12½-8½ (+7–3=11) gewonnen und wurde damit der 11. Schachkönig der Geschichte! Zwei Tage später, am 3. September, fand die Abschlussfeier statt und der FIDE-Präsident krönte ihn mit einem 'Lorbeerkranz' aus Blättern der isländischen Silberbirke.

Und hier, vor den Augen von zweitausend Gästen, kam es zu einer Episode, die, meiner Ansicht nach, Fischer besser charakterisiert als es Worte können. Nachdem er ihm den Umschlag mit dem Siegerscheck überreicht hat, streckte Euwe seine Hand aus, um Fischer per Handschlag zu gratulieren.  'Aber Fischer hat keine Eile. Er öffnet den Umschlag und prüft den Scheck sorgfältig. Euwes bleibt in der Luft hängen. Nachdem sich Fischer schließlich davon überzeugt hat, dass alles in Ordnung ist, faltet er den Scheck sorgfältig und steckt ihn in die Innentasche seines Jacketts. Danach, und nachdem er die Hand des Präsidenten geschüttelt hat, kehrt er schnell an seinen Tisch zurück. Hier lässte er sich still sein Steak schmecken, aber lehnt ein Glass Wein entschlossen ab. Auf der Bühne werden indessen Reden zu Ehren des neuen Champions gehalten. Nachdem er zu Ende gegessen hat, schaut sich Fischer geistesabwesend um. Plötzlich leuchten seine Augen und er kramt nach etwas in der Innenseite seines Jacketts. Er wird doch den Scheck nicht noch einmal überprüfen? Nein. Er holt sein abgegriffenes Taschenschach hervor, baut eine Stellung auf und ohne seine Umgebung wahrzunehmen ist er bald in Gedanken verloren.' (Krogius)

'In der zweiten Hälfte des Wettkampfs hat er sehr gut gespielt,' räumte Fischer in einem Interview nach dem Wettkampf ein. 'Ich hatte das Gefühl, in diesen Partien enorm unter Druck zu stehen.  Mit Ausnahme der letzten zwei oder drei. Aber sechs oder sieben Partien in Folge hat ich das Gefühl, konstant unter Druck zu stehen. Es war schrecklich...'

Die Tatsache, dass Spassky seine Krise überwinden konnte, wird auch durch seine Einschätzung von Fischers Spiel, die er kurz nach dem Wettkampf gemacht hat, bestätigt: 'Ich habe in seinem Spiel keine Kreativität bemerkt. Technik, Sachlichkeit, Pragmatismus, Energie und das Streben nach Kampf — das ist, was mir an ihm sehr gefallen hat. Ich habe erkannt, dass er ein außergewöhnlich starker Spieler ist. Aber natürlich hat er auch sehr ernsthafte Schwächen. Seine größte Schwäche ist, dass er Schach irgendwie sehr rein spielt. Jetzt macht das seine Stärke aus, aber später könnte das zu einem Nachteil für ihn, vor allem in einem komplizierten Kampf. Dann muss man andere Fähigkeiten zeigen: mehr Raffinesse, große Erfahrung. Es gibt einige Spieler, die das Spiel besser verstehen als er.'

In der Zeitschrift New in Chess, 6/2012, S.60-68, beschreibt GM Lubomir Kavalek, der in Reykjavik als Journalist und in der zweiten Hälfte des Wettkampfs als einer von Fischers Sekundanten vor Ort war, wie er Fischer nach dem Match interviewt hat. Das war ein Geschenk des neuen Weltmeisters für die Arbeit, die Kavalek während der Partien für ihn geleistet hatte. Das Interview wurde auf Voice of America übertragen und geschätzte 250 Millionen Zuhörer. Kavalek übergab der World Chess Hall of Fame, die ihren Sitz jetzt in St. Louis hat, eine Tonbandaufzeichnung des Interviews.

Bist Du mit dem Ergebnis zufrieden, mit der Qualität der Partien?

‘Ich bin mit dem Ergebnis ziemlich zufrieden, Lubos,’ meinte Bobby. ‘Immerhin habe ich eine Partie kampflos verloren und deshalb steht es in den Partien, die wir tatsächlich gespielt haben, eigentlich 12½-7½. Du darfst nicht vergessen, dass dieses Match zu einer Menge Spannungen geführt hat. Ich glaube, unter den Umständen habe ich mich ganz gut geschlagen.’

Was denkst Du über das Spiel von Spassky?

‘Ich würde nicht sagen, dass er sein bestes Schach gespielt hat. Ich würde sagen, er hat ziemlich genau das gespielt, was ich aufgrund seiner Leistungen vor dem Match erwartet hatte. Er scheint in den letzten paar Jahren eine Formschwäche zu haben und ich habe nicht erwartet, hier eine dramatischen Umschwung zu sehen.’

Welche Bedeutung hat der Weltmeistertitel für Dich?

‘Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Sieg über die Russen. Sie haben den Weltmeistertitel jahrelang zur Propaganda genutzt. Jetzt wurde er ihnen weggenommen. Das gibt ihnen etwas, worüber sie nachdenken können. Aber was mich persönlich betrifft, so bietet es mir Möglichkeiten, mehr Schach zu spielen, die Art von Schach, die ich spielen möchte.’

Was wird sich in Deinem Leben ändern?

‘Nun, eine Menge Geld. Es scheint, als ob ich schrecklich viel Geld bekomme. Das ist eigentlich alles!’

Welche Pläne hast Du?

‘Ich glaube, wenn das Geld vorhanden ist, wenn es ein gutes Angebot gibt, dann würde ich überlegen, ob ich ein Revanchematch gegen Spassky spiele, wenn er dazu bereit ist, wenn seine Regierung ihn lässt.’

Schon nächstes Jahr?

‘Möglicherweise nächstes Jahr, ich würde sagen, mit Sicherheit in den nächsten beiden Jahren.’

Während der Aufnahme überbrachte jemand von der U.S Botschaft ein Telegramm von Präsident Nixon, das Fischer, der offensichtlich gerührt war, laut und bei laufendem Band vorlas:

Lieber Bobby,

Dein überzeugender Sieg in Reykjavik ist ein beredtes Zeugnis Deiner vollkommenen Meisterschaft in dem schwierigsten und anspruchsvollsten Spiel der Welt. Die Weltmeisterschaft, die Du gewonnen hast, ist ein großer Triumph für Dich, und ich freue mich ebenso wie zahllose Deiner Mitbürger Dir meine herzlichsten Glückwünsche und die besten Wünsche zu übersenden.

Mit freundlichen Grüßen, Richard Nixon

Kavalek berichtet, dass Coca Cola angeboten hat, die U.S. Olympiamannschaft mit $100.000 zu unterstützen, wenn Fischer dort spielen würde. Bobby würde $50.000 bekommen, die anderen Spieler jeweils $10.000. Bobby hat überlegt, bei der Olympiade in Skopje zu spielen, aber am Ende hat er nicht gespielt. Er hatte gerade das anstrengendste Match seines Lebens gespielt und das hat ihm gereicht.

Endstand nach 21 Partien

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Vorherige Artikel

Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (1)
In der letzen Juniwoche 1972 war die Schachwelt im Aufruhr. Der Weltmeisterschaftskampf zwischen Titelverteidiger Boris Spassky und Herausforderer Bobby Fischer sollte am 1. Juli in Reykjavik beginnen. Aber von Fischer war in der isländischen Hauptstadt nichts zu sehen. Die Eröffnungsfeier fand ohne ihn statt und die 1. Partie, die am 2. Juli gespielt werden sollte, wurde verschoben. Doch in den frühen Morgenstunden des 4. Juli traf Fischer schließlich in Reykjavik ein. Frederic Friedel berichtet.

Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (2)
Das legendäre "Match des Jahrhunderts" zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer wurde in der Laugardalshöllin in Reykjavik gespielt. Dies ist Islands größte Sportarena, 5.500 Zuschauer haben hier Platz. Auch Konzerte finden hier statt - Led Zeppelin, Leonard Cohen und David Bowie haben hier schon gespielt. 45 Jahre nach dem Spassky-Fischer Spektakel besuchte Frederic Friedel die Laugardalshöllin und hat ein paar Schätze entdeckt.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (3)
Am 11. Juli 1972 begann das legendäre "Match des Jahrhunderts" zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer endlich. Doch Fischer kam zu spät zur ersten Partie, der Straßenverkehr hatte ihn aufgehalten. Fischer hatte in der ersten Partie Schwarz und spielte zur allgemeinen Überraschung nicht wie meist Grünfeld oder Königsindisch, sondern Nimzo-Indisch. Die Partie verlief in ruhigen Bahnen und die meisten Experten rechneten mit einem Remis. Doch dann, im 29. Zug, nahm Fischer einen vergifteten Bauern. "Ein Zug und wir machen in der ganzen Welt Schlagzeilen!", kommentierte einer der Organisatoren glücklich.

Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (4)
Bobby Fischer, Herausforderer und Favorit im WM-Kampf gegen Boris Spassky in Reykjavik 1972, verlor die erste Wettkampfpartie auf dramatische Weise. Fischer erklärte, ihn hätten die Kameras gestört. Zur zweiten Partie trat der Amerikaner aus Protest nicht an und verlor kampflos. Damit lag er im Wettkampf 0-2 zurück. Fischer hatte schon einen Rückflug nach New York gebucht, aber spielte die dritte Partie dann doch – in einem Raum hinter der Bühne!

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (5)
Nach drei Partien stand es im Match des Jahrhunderts 2:1 für den amtierenden Weltmeister. In Partie vier spielte Spassky eine gut vorbereitete Variante des Sizilianers und erhielt starken Angriff. Fischer verteidigte sich zäh und die Partie endete mit Remis. Dann folgte eine Schlüsselpartie, über die GM Robert Byrne, US-Meister 1972 und Korrespondent der New York Times und Chess Life, berichtet hat. In Reykjavik verfolgte Schachenthusiast Lawrence Stevens aus Kalifornien die Partien besonders aufmerksam: er schrieb per Hand auf, wie viel Bedenkzeit die Spieler für jeden Zug verbraucht hatten.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (6)
Im sechsten Teil unserer Serie schauen wir uns an, was beim Wettkampf des Jahrhunderts Fischer gegen Spassky 1972 in Reykjavik hinter den Kulissen geschah. Spassky wurde von seinen Sekundanten umsorgt und von den sowjetischen Autoritäten unter Druck gesetzt. Geholfen hat es ihm nicht. Ein schwerer Schlag war Spasskys Niederlage in der sechsten Partie. Fischer spielte zum ersten Mal in seinem Leben Damengambit mit Weiß, Spassky konnte oder wollte sich nicht an seine Vorbereitung erinnern und Fischer gewann eine Glanzpartie.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (7)
Boris Spassky startete mit einer 2-0 Führung in den "Wettkampf des Jahrhunderts" gegen Bobby Fischer in Reykjavik 1972. Aber dann schlug Fischer zurück: aus den nächsten acht Partien holte er 6,5 Punkte und führte so nach zehn Partien mit 6,5-3,5. Die Partien 8, 9 und 10 hatten viele dramatische Momente.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (8)
Nach zehn Partien stand es im Weltmeisterschaftskampf 1972 in Reykjavik 6,5-3,5 für den Herausforderer Bobby Fischer. Der Wettkampf schien praktisch schon entschieden, denn Titelverteidiger Boris Spassky hatte aus den letzten acht Partien nur 1,5 Punkte geholt. Doch in der elften Partie schlug Spassky zurück und fügte Fischer in der Najdorf-Variante eine vernichtende Niederlage zu.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (9)
Die 13. Partie des Wettkampfs zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky in Reykjavik 1972 war ein packender Kampf. Fischer verzichtete auf seinen geliebten Sizilianer und griff zur Aljechin-Verteidigung. Eine unangenehme Überraschung für Spassky und der Auftakt einer dramatischen Partie mit entscheidender Bedeutung für den Wettkampf.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (10)
Die zweite Hälfte des Weltmeisterschaftskampfs zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky in Reykjavik 1972 verlief ausgeglichen. In etlichen Partien hatte Spassky sogar gute Chancen, aber es gelang ihm nicht, eine Partie zu gewinnen. Das Ende des Wettkampfs rückte unaufhaltsam näher und Fischer verteidigte seinen 3-Punkte-Vorsprung.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (11)
Je länger der Wettkampf in Reykjavik dauerte, desto nervöser wurde die sowjetische Delegation. Spassky spielte mit aller Kraft, aber kam ein ums andere Mal nicht über ein Remis hinaus. Und mit jeder Partie rückte die Wettkampfniederlage nähe. Die Partien waren spannend, aber für Aufregung sorgte etwas anderes: Die sowjetische Delegation äußerte den Verdacht, die Beleuchtung oder Fischers Sessel wären manipuliert worden.

Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (12)
In den ersten beiden Partien des Weltmeisterschaftskampfs 1972 in Reykjavik war Titelverteidiger Boris Spassky mit 2-0 in Führung gegangen. Doch dann konterte Fischer und lag nach 12 von 24 Partien deutlich in Führung. Im zweiten Teil des Wettkampfs fing sich Spassky wieder, aber konnte Fischers Vorsprung nicht verringern. Und mit jedem Remis rückte Spasskys Niederlage näher.


Chefredakteur der englischen ChessBase-Seite. Hat in Hamburg und in Oxford Philosophie und Linguistik studiert und sein Studium mit einer Arbeit über Sprechakttheorie und Moralsprache abgeschlossen. Eine Karriere an der Universität gab er auf, um Wissenschaftsjournalist zu werden und Dokumentationen für das deutsche Fernsehen zu produzieren. Er ist einer der Mitbegründer von ChessBase.

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